24.09.2014

Ian Rankin – Schlafende Hunde

(«Saints of the Shadow Bible»,  Orion Books London, 2013)

Aus dem Englischen von Conny Lösch

2014, Manhattan/Wilhlem Goldmann Verlag, München, 461 Seiten

****

Der erste Satz
«Wo fahren wir hin?»

Das Buch
John Rebus ist zurück im Polizeidienst in Edinburgh. Dafür musste der ehemalige DI (Detective Inspector) einen niedrigeren Rang akzeptieren. Er ist jetzt DS (Detective Sergeant) und seine ehemalige Untergebene Siobhan Clarke ist seine Vorgesetzte. Aber Rebus hat sich ja noch nie von jemandem wirklich etwas vorschreiben lassen.
Es ist eine vertrackte Geschichte, in der es einerseits um einen 30 Jahre alten Fall geht, bei dem möglicherweise Rebus’ damalige Kollegen alles andere als sauber geblieben sind. Anderseits eskaliert eine Geschichte, die mit einem Autounfall angefangen hat, zu einem Mord, in den Exponenten der Ja- und der Nein-Kampagne zu Schottlands Unabhängigkeit verwickelt sind. Der Plot ist fast etwas zu kunstvoll gedrechselt, aber Ian Rankin meistert das natürlich wie immer bravourös.
Eigentlich hatte er seinen Serienhelden Rebus ja nach 17 Romanen in Rente geschickt und eine neue Reihe mit dem internen Ermittler Malcolm Fox gestartet. Doch dann tauchte Rebus in einer Cold-Case-Truppe wieder auf, und im neuen Roman er zurück beim CID (Crime Investigation Departement). Gleichzeitig spielt aber auch Fox, der als pedantischer Ex-Alkoholiker ein ganz anderer Typ als der melancholische Trinker und Musikliebhaber Rebus ist, eine wichtige Rolle. Rebus («Ich bin keiner dieser neumodischen Supersensiblen.») freundet sich sogar fast an mit dem jüngeren Gegenspieler, auch wenn er schwerwiegende Bedenken hat:
Rebus blickte auf das von Fox bevorzugte Schuhwerk. «Weil Ihre braun sind», erklärte er. «Wenn ich eins von Uncle Frank gelernt habe …»
«Dann keine braunen Schuhe?»
«Keine braunen Schuhe», pflichtete ihm Rebus bei.
«Und wer ist Uncle Frank?»
«Frank Zappa.» Rebus sah Fox’ ratlosen Gesichtsausdruck. «Der Musiker.»
«Ich höre kaum Musik.»
«Auch das spricht gegen Sie», stellte Rebus gedehnt und kopschüttelnd fest.
Irgendwie bekommt man fast das Gefühl, Rebus’ Rückkehr diene dem Autor dazu, seinen neuen Helden Malcolm Fox seiner Leserschaft, die Rebus nun einfach einmal liebt, für eine Zukunft ohne Rebus schmackhafter zu machen.

Der Autor
Ian Rankin, *1960 in Cardenen, Fife, Schottland, ist einer der erfolgreichsten britischen Autoren der letzten 20 Jahre. Er hat bereits gegen 30 Romane geschrieben, darunter auch drei unter dem Pseudonym Jack Harvey. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Edinburgh.

Der letzte Satz
Rebus machte die Beifahrertür seines Saab auf, warf die Überreste der Schattenbibel auf den Sitz und hob Peter Meikles Schuh auf.




15.09.2014

Ross Thomas – Fette Ernte

(«The Money Harvest», William Morrow, New York, 1975)

Aus dem Amerikanischen von Jochen Stremmel

2014, Alexander Verlag Berlin, 341 Seiten
(die deutsche Erstausgabe erschien stark gekürzt 1975 unter dem Titel «Die Millionenernte» bei Ullstein)

****

Der erste Satz
Der mit Hammerzehen geschlagene Freund und Berater von sechs US-Präsidenten war natürlich nicht tot.

Das Buch
Dem Alexander Verlag gebührt grosses Lob für seine Ross-Thomas-Edition, in der als 13. Werk jetzt «Fette Ernte» erschienen ist. Dies mag zwar nicht der allerbeste Ross-Thomas-Thriller sein, aber er ist gut, wie alle Werke dieses Autors. «Ein Roman von Ross Thomas ist nicht einfach ein Krimi oder ein Polit-Thriller, sondern eine diabolische Analyse unserer politischen Verhältnisse», stellte schon der deutsche Autor Jörg Fauser (1944–1987) fest (dessen höchst lesenswertes Werk übrigens ebenfalls als Edition im Alexander Verlag vorliegt). Die meisten Romane von Thomas sind zwar schon früher auf Deutsch erschienen, allerdings zumeist in teils sehr stark gekürzten Versionen, die praktisch nur noch den reinen Plot übrig liessen und alles, was nicht zwingend zum Ablauf gehörte, eliminierten. Dabei sind es neben den spannenden, realistischen Plots vor allem auch die genauen Beschreibungen, die ätzende Ironie und die lockeren Witze, die Wesentliches zum grossen Lesegenuss beitragen. So auch in dieser Geschichte, in der es um einen grossangelegten Betrug mit Warentermingeschäften im Rohstoffhandel geht.
In einer Nachbemerkung dokumentiert der Übersetzer Jochen Stremmel, wie verstümmelt die deutsche Erstausgabe war. Zum Beispiel fehlte, neben vielen anderen, diese hübsche, kleine Passage über den US-Präsidenten:
Obwohl er kein übermässig intelligenter Mann war, hatte er schliesslich gelernt, wie man gleichzeitig geht und Kaugummi kaut, obwohl es Leute gab, die beschworen, er habe den Trick erst nach heimlichem Mitternachts-training hingekriegt.

Der Autor
Ross Thomas, *1925 in Oklahoma City, †1995 in Los Angeles, war Journalist, PR-Fachmann, Wahlkampfberater für Politiker und Gewerkschaftssprecher. In Bonn baute er in den 1950er-Jahren das AFN-Büro (American Forces Network; Radio für die Angehörigen der US-Streitkräfte in Europa) auf. Mit 40 schrieb er seinen ersten Roman, «The Cold War Swap» (1966; «Kälter als der Kalte Krieg»); bis zu seinem Tod folgten 24 weitere Romane. Er zählt, neben dem Briten Eric Ambler, zu den besten Politthriller-Autoren seiner Zeit.

Der letzte Satz

Der Elektrolux-Staubsauber saugt säuberlich all das in seine Eingeweide auf, was von Crawdad Gilmore übrig war, dem mit Hammerzehen geschlagenen Freund und Berater von sechs US-Präsidenten.


12.09.2014

Russell Blake – El Rey, Vollstrecker ohne Gnade

(«King of Swords», Reprobiato, 2011)

Aus dem Amerikanischen von Andrea Albrecht und Terry Laster

2014, AmazonCrossing, Luxemburg, 305 Seiten

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Der erste Satz
Bewaffnete Männer bildeten im Umkreis des mondänen Domizils am abgeschiedenen Küsten-streifen nördlich von Punta Mita, sieben-unddreissig Kilometer nördlich von Punta Vallarta, eine Linie.

Das Buch
El Rey wird er genannt, der mexikanische Profikiller, der so gut in seinem Job ist, dass die Drogenbosse Riesenhonorare für seine Arbeit hinblättern. Als Captain Romero Cruz von der Bundespolizei erfährt, dass El Rey einen Anschlag auf den bald in Mexiko stattfindenden G20-Gipfel plant, nimmt er die Jagd auf den Killer, dessen Identität seine Häscher nicht einmal kennen, auf.
Russell Blake erzählt diese Geschichte spannend und actionreich aus verschiedenen Erzähl- perspektiven – mal sind wir mit dem Killer unterwegs, mal mit dem Bundespolizisten, mal als «Beobachter von oben». Es finden sich auch immer mal wieder Informationen zum Drogenkrieg, der den Hintergrund der Geschichte bildet, und zu Land und Leuten in Mexiko. Da liegt allerdings die Haupt-schwäche dieses Buches. Denn diese Hinter-gründe erschliessen sich weder aus der Handlung des Romans noch aus den Beschreibungen der Personen, sondern werden volkshochschulmässig heruntergebetet und dienen so offensichtlich primär als Legitimation für die Action- und Gewaltszenen.
Klar, das El Rey am Ende davonkommt. Denn dies ist der erste Band einer Reihe, die im Original bereits fünf Romane umfasst.

Der Autor
Russell Blake, Angaben zu Alter und Werdegang sind nicht zu finden, hat laut Klappentext bisher 22, laut seiner Webseite 28 Bücher geschrieben, vorwiegend im Actionthriller-Bereich. Er ist zudem Ko-Autor eines Romans von Clive Cussler. Blake lebt in Mexiko.

Der letzte Satz
Das Leben war schön.




10.09.2014

Nic Pizzolatto – Galveston

(«Galveston», Scribner, 2010)

Aus dem Amerikanischen von Simone Salitter und Gunter Blank

2014, Walder + Graf bei Metrolit, Berlin, 243 Seiten


****

Der erste Satz
Der Arzt hat Bilder von meiner Lunge gemacht.

Das Buch
Die Bilder, die der Arzt von Roy Cadys Lunge gemacht haben, sehen nicht gut aus. Cady ist in den späten 1980er-Jahren in New Orleans als Schläger und Killer für den aus Osteuropa stammenden Gangster Stan Ptitko tätig.

Stan hat die Züge eine brandschatzenden Kosaken, und wenn die Sowjets damals tatsächlich Leute gehabt haben, die ihren Opfern glühende Kleiderbügel in die Harnröhre schoben, mussten das Typen wie Stanislaw Ptitko gewesen sein.

Ptitko schickt Cady zu einem Job, der sich als Falle erweist. Doch Cady kommt davon und rettet dabei auch eine junge Frau. Zusammen ergreifen sie die Flucht, die sie nach Galveston an der Küste in Texas führt. Als zwanzig Jahre später ein Typ nach dem zwischenzeitlich zum Krüppel geschlagenen Cady sucht, erinnert er sich an die Zeit der Flucht.
Nic Pizzolatto entwickelt daraus eine melancholische Geschichte, die trotz brutalen Momenten mehrheitlich sentimental wenn nicht gar romantisch ist. Ein hervorragend erzählter, sehr stimmungsvoller Roman in der Noir-Tradition, der keinen typischen Krimi- oder Thriller-Strukturen folgt.

Der Autor
Nic Pizzolatto, *1975 in New Orleans, ist als Erfinder und Autor der vielgerühmten TV-Serie «True Detective», deren Ausstrahlung Anfang 2014 begann, bekannt geworden. Bereits 2010 hat er seinen ersten Roman, «Galveston», publiziert, der jetzt auch auf Deutsch erschienen ist.

Der letzte Satz
Und ich hatte befürchtet, ich würde ewig leben.


04.09.2014

Ryan David Jahn – Die zweite Haut


(«Low Life», Macmillan, London, 2010)

Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner

2014, Heyne Hardcore, Wilhelm Heyne Verlag, München, 319 Seiten

***1/2



Der erste Satz
Der Morgen jenes Tages, an dem Simon zum ersten Mal einen Menschen tötete, kam ihm vor wie jeder andere.

Das Buch
Simon führt ein ziemlich eintöniges Leben als Buchhalter. Bis zu diesem Tag: Er wacht auf, als jemand die Tür seiner Wohnung aufbricht. «Stirb, du Dreckskerl», brüllt der Eindringling, als er sich auf Simon stürzt. Im folgenden Kampf tötet Simon den Mann. Als er ihn sich dann bei Lichte anschaute, schien er ihm praktisch aus dem Gesicht geschnitten, «als habe er seinen Zwillingsbruder vor Augen».
Simon packt die Leiche auf Eis in die Badewanne und will herausfinden, wer das ist und warum er ihm nach dem Leben trachtete. Damit nimmt der über weite Strecken fesselnde Psychothriller um Wirklichkeit und Wahn Fahrt auf. Mehr über den Plot zu verraten, würde den Lesespass verderben.
Jahn ist ein ausgezeichneter Erzähler, dessen Psychothriller nicht den gängigen Krimistrukturen entsprechen. Sein zweiter Roman «Die zweite Haut» ist nicht so stark und beklemmend wie sein Erstling und sein dritter Roman, die bereits auf Deutsch erschienen sind (siehe unten). Aber fast.

Der Autor
Ryan David Jahn, *1979 in Arizona, verbrachte den grössten Teil seiner Jugend wechselnd zwischen Austin, Texas, wo sein Vater lebte, und in und um Los Angeles bei seiner Mutter. Er verliess die Schule mit 16, arbeitete in einem Plattenladen, diente in der Armee. Seit 2004 arbeitete er als Drehbuchautor für TV und Film. 2009 erschien sein erster Roman «Acts of Violence» (auf Deutsch «Ein Akt der Gewalt», 2012, ****), für den er mit dem Debut Dagger Award ausgezeichnet wurde. «Low Life» (2010; «Die zweite Haut») war sein zweites Buch, es folgten «The Dispatcher» (2011; «Der Cop», 2012, ****) und «The Last Tomorrow» (2013). Jahn lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Louisville, Kentucky.

Der letzte Satz
Er wollte den Namen Gottes aussprechen, aber er wusste nicht wie er lautete.