28.03.2016

Declan Burke – The Big O

(«The Big O», Hag’s Head Press, Dublin, 2008)

Aus dem Englischen von Robert Brack

2015, Edition Nautilus, Verlag Lutz Schulenburg, Hamburg, 316 Seiten


****

Der erste Satz
In der Bar, Karen trank Wodka Tonic, Ray einen Brandy, um seine Nerven zu beruhigen, erzählte sie ihm, dass die Leute auf einen Überfall so ähnlich wie auf den Tod reagierten: mit Schock, Fassungslosigkeit, Wut, Unterwerfung.

Das Buch
Karen und Ray haben sich kennengelernt, weil er ihr bei einem Überfall in die Quere gekommen ist. So beginnt eine ziemlich turbulente, rabenschwarze Geschichte, die so schräg wie absurd ist, dabei aber ziemlich lustig. Die Bezeichnung «Screwball Noir», die der Verlag auf dem Backcover verwendet, hat etwas.
Karen ist Praxisgehilfin bei Frank, sie bessert sich ihr Gehalt durch regelmässige Überfälle auf. Frank hat Geldprobleme, weil er wegen Pfuschs nicht mehr als Schönheitschirurg praktizieren, sondern nur noch beraten darf. Er will seine Frau Madge, von der er in einer Woche geschieden wird, vorher noch entführen lassen und von der Versicherung das Lösegeld kassieren. Dafür muss er aber die Versicherung um eine Woche verlängern. Bei Doug, einem Kumpel vom Golfclub, der dafür ein paar Tabletten will. Doch dann befördert Frank ihn mit einem Golfschlag versehentlich ins Koma. Franks Praxisgehilfin Karen wiederum ist Madges beste Freundin. Ihr neuer Freund Ray, den sie eben bei einem Überfall kennengelernt hat, ist zufällig der Auftragsentführer. Und auf ihn hat zudem Doyle, die bei der Kripo arbeitet, ein Auge geworfen – aus sehr privatem Interesse. In die ganze Geschichte mischt sich auch noch Karens Ex Rossi ein, der eben aus dem Knast entlassen wurde. Er will sich die Knarre, die Ducati und die Kohle, die sich Karin unter den Nagel gerissen hatte, als er einfuhr, zurückholen.
Aus dieser arg verwickelten Situation strickte Declan Burke einen ebenso witzigen wie wüsten und komplett moralfreien Krimiklamauk. Ziemlich unterhaltsam.

Der Autor
Declan Burke, *1969 in Sligo, Irland, studierte Literatur und Medien an der University of Ulster in Coleraine, Nordirland, und berichtet als Journalist und Kritiker für Zeitungen, Zeitschriften und Radio über Bücher und Film. Seit 2003 hat er ein halbes Dutzend Romane veröffentlicht; auf Deutsch ist bisher «Absolute Zero Cool» (Original 2011, Deutsch 2014 bei Edition Nautilus) erschienen.

Der letzte Satz
Rossi tauchte hinein, die massigen Kiefer zu beiden Seiten seines Kopfes klappten zu, und schon spürte er dieses Ziehen an seiner Kopfhaut und hörte, wie sich das rohe Fleisch von seinem Schädel löste.


26.03.2016

Brian Panowich – Bull Mountain

(«Bull Mountain», G. P. Putnam’s Sons, New York, 2015)

Aus dem amerikanischen Englisch von Johann Christoph Mass

2016, suhrkamp taschenbuch, Suhrkamp Verlag Berlin, 336 Seiten


****1/2
  
Der erste Satz
«Familie», sagte der Alte zu niemandem.

Das Buch
Der Burroughs-Clan hat Bull Mountain in Georgia seit Jahrzehnten fest im Griff, über Generationen. Sie brannten Schnaps, stellten dann auf Marihuana um und betreiben jetzt Meth-Labors. Allerdings hat sich in der letzten Generation einer der Brüder, Clayton, vom Familiengeschäft abgewandt und amtiert jetzt als Sheriff. Eines Tages taucht der Bundesbeamte Simon Holly bei ihm auf, der von Clayton will, dass er seinem Bruder das Angebot unterbreite, dass dieser straffrei ausgehen würde und sein Vermögen behalten könne, wenn er seine Partner verraten würde. Wenn er allerdings nicht darauf eingehe, würden die Bundesbeamten den Berg schwer bewaffnet stürmen. Holly appelliert bei Clayton daran, dass sie beide auf der gleichen Seite stünden, auf der Seite des Gesetzes. Was Clayton nicht so sieht.

«Passen Sie auf, Holly. Ich habe nichts mit Ihnen gemeinsam. Ich bin einfach ein Typ, der keine dreissig Kilometer von dort, wo Sie jetzt sitzen, geboren wurde und aufwuchs. Ich bin kein Spitzensheriff, der die Welt retten will vor dem Bösen, das die Menschen anrichten.» Seine Stimme troff vor Sarkasmus. «Mich interessiert es nicht sonderlich, was da draussen in Ihrer Welt so passiert, Agent Holly. Ich bin ein Provinzsheriff, der sein Bestes tut, die Menschen in diesem Tal – die guten Menschen in diesem Tal – vor dem endlosen Zufluss von Scheisse zu schützen, der vom Berg runterkommt, und vor den schiesswütigen Verbindungsbürschchen, die glauben, sie können hier aufkreuzen und uns Hillbillys zeigen, wie hart sie drauf sind. Meiner Auffassung nach stellt ihr alle, Cops und Bösewichte gleichermassen, eine Bedrohung meines Wahlkreises dar, und daraus resultiert im Kern, dass Sie und ich nichts miteinander gemein haben.»

Doch schliesslich lässt sich Clayton Burroughs doch zum Botengang zu seinem Bruder, den er seit der Bestattung ihres dritten Bruders, der von Bundesagenten erschossen wurde, nicht mehr gesehen hat, breitschlagen. Denn Holly scheint anders zu sein, als andere Bundesagenten. Tatsächlich ist er anders; er spielt sein ganz eigenes Spiel, wie sich im Lauf der Geschichte zeigen wird.
Und diese Geschichte hat es in sich. Sie ist breit angelegt mit Rückblenden in die 1940er, die 1970er, die 1980er, aber dennoch schlank und ohne Ballast erzählt. Die Erzählstränge, die zunächst teils recht zusammenhangslos erscheinen mögen, führt Brian Panowich in seinem Romandebüt gekonnt zusammen und steigert die Dramatik Schritt für Schritt. Darin erinnert mich der Roman an die Anweisung eines Hollywood-Produzenten in den 1940ern an seine Drehbuchautoren, die ungefähr lautete: «Anfangen mit einem mittleren Erdbeben, und dann langsam steigern!» «Bull Mountain» packt einen von Anfang an und nimmt einen mit auf eine Höllenfahrt in die Berge von Georgia. Dabei setzt Panowich nicht einfach auf Action und Spannung, in dieser rabenschwarzen Familiensaga geht es auch um grundsätzliche und existenzielle Fragen, ohne dass der Autor dabei irgendwie pädagogisch würde. Ob die richtige Einordnung dafür nun «Southern Noir» oder «Country Noir» heissen mag – das ist einfach grosse Literatur.

Der Autor
Brian Panowich, *(Jahrgang nicht eruierbar) in Fort Dix, New Jersey, verbrachte die Kindheit an verschiedenen Orten in den USA und in Europa, wo sein Vater für die Army tätig war. Als er zwölf war, liess sich die Familie in East Georgia nieder, wo er später an der Georgia Southern University Journalismus studierte. Er war mehrere Jahre als Musiker unterwegs; heute lebt er als Feuerwehrmann in Georgia. Er publizierte in den letzten Jahren Kurzgeschichten; «Bull Mountain» ist sein erster Roman.

Der letzte Satz
Und das würde ihnen niemand jemals wegnehmen.


15.03.2016

Don Winslow – Way Down On The High Lonely

(«Way Down On The High Lonely»,
St. Martin’s Press, New York, 1993)

Aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch

2016, Suhrkamp Verlag, Berlin,
346 Seiten (Neuübersetzung;
deutsche Erstausagabe: 1998, «Das Schlangental», Piper)

****

Der erste Satz
Er hätte sich nicht umdrehen sollen.

Das Buch
Die Neuübersetzung des dritten Falls von Neal Carey in der frühen Serie von Don Winslow ist von Suhrkamp – nach «London Undercover» und «China Girl» – ursprünglich als «Holy Nevada» angekündigt worden, erschien jetzt aber unter dem englischen Originaltitel. Auf der Spur des von seinem Vater entführten Sohns einer Hollywood-Schauspielerin gerät Neal Carey als Undercover-Ermittler in den Bergen von Nevada in eine Gruppe von rassistischen Fanatikern, die sich auf einer Farm in den Bergen von Nevada auf den Kampf gegen die angeblich zionistisch unterwanderte Regierung vorbereitet. Wie in den ersten beiden Bänden der Reihe brilliert Winslow auch hier mit spektakulärer Action, trockenem Humor, reichlich Spannung und schlagfertigen Dialogen.

Der Autor
Don Winslow, *1953 in New York City, gehört spätestens seit dem Meisterwerk «The Power of the Dog» (*****, 2005; deutsch 2010 als «Die Tage der Toten») zu den besten Autoren des Genres. Nach diesem Drogenkrieg-Epos brillierte er mit ein paar Südkalifornien-Surfer-Krimis, die auf Deutsch vor «Die Tage der Toten» erschienen sind. Sehr gut waren auch noch die Drogenkrimis «Savages – Zeit des Zorns» (2011) und «Kings of Cool» (2012, beide bei Suhrkamp). Danach ging es abwärts mit «Vergeltung» (2014, Suhrkamp) und «Missing. New York» (2014, Droemer Knaur) – beide Romane sind übrigens auf Englisch nicht erschienen. Die Neal-Carey-Reihe erschien erstmals in den 1990er-Jahren.

Der letzte Satz
Bei Wong’s gab’s heute Abend Chili.