11.07.2018

Tom Bouman – im Morgengrauen



(«Fateful Mornings», W. W. Norton & Company, New York 2017). 

Aus dem Englischen von Caroline Burger und Anna-Christin Kramer. 

Ars Vivendi, Cadolzburg 2018. 320 S.


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Der erste Satz
Ich fuhr mit dem Pick-up quer über die Wiese zum Maiden’s Grove Lake.

Das Buch
Tiefe Wälder, Seen und Flüsse weitab von grösseren Städten – den Nordosten Pennsylvanias können wir uns eigentlich ganz idyllisch vorstellen. Hier ist der amerikanische Autor Tom Bouman aufgewachsen, und hier lebt er wieder, nachdem er in New York im Verlagswesen tätig gewesen war. «Im Morgengrauen» ist sein zweiter Krimi um Henry Farrell aus dieser Gegend. Die Landschaft spielt in Boumans Romanen eine ebenso grosse Rolle wie die Bayous Louisianas in James Lee Burkes stilbildender Romanserie um den Polizisten Dave Robicheaux.
Boumans Polizist heisst Henry Farrell, und der schaut ganz allein im ebenso abgelegenen wie weitläufigen Kaff Wild Thyme, unweit der Grenze zum nordöstlichen Teil des Bundesstaates New York, zum Rechten. Auf seinen Patrouillenfahrten durch die einsamen Gegenden findet er auch Zeit, sein Verhältnis mit einer verheirateten Frau zu pflegen, in seiner Freizeit hilft er einem Freund beim Bau von Holzrahmenhäusern mit alten Materialien und spielt Fiddle in einem Bluegrass-Trio. Auch für ornithologische Betrachtungen ist der Dorfpolizist zu haben
So weit wirkt alles ziemlich beschaulich. Aber wir sind hier in einem Krimi, der dem Subgenre «Rural Noir» zugeordnet ist. Und so wundert es nicht, dass der idyllische Schein trügt. Fracking von Erdgasunternehmen teilt die Bevölkerung in Profiteure und Umweltschützer. Henry stellt sich mit seinem Radar, mit dem er rasende Tanklaster stoppt, dagegen. Aber vor allem haben sich Drogen und die ganze Kriminalität, die damit zusammenhängt, hier ausgebreitet.
Um das Verschwinden einer jungen Drogensüchtigen, die mit ihrem Alki-Freund in einem Wohnwagen lebt und der das Kind entzogen wurde, dreht sich die düstere Geschichte, in deren Verlauf mehrere Leichen auftauchen. Henry Farrell ermittelt zuweilen auf ziemlich unkonventionelle Art auch weit ausserhalb seines Zuständigkeitsbereichs, sogar jenseits der Bundesstaatsgrenze, und kommt dabei schon mal Kleinstadtkollegen ins Gehege. Doch eigentlich ist der Dorfpolizist mehr ein stiller und nachdenklicher Beobachter als ein furioser Aktivist. Und es sind denn auch mehr die wBeobachtungen und Erkenntnisse des selbst gerne mal Dope rauchenden Gesetzeshüters, die den besonderen Reiz des Buches ausmachen, als der eigentliche Krimi-Plot. Kein Stoff für Leser, die Krimis als Ratespiel mögen. Bouman wirft einen ungeschönten Blick auf ein ländliches Amerika, in dem der amerikanische Traum für viele zu einem Alptraum wird. Und wie sagt doch der Trinker so schön zu Henry: «Du weisst genau, dass die einzige Geschichte, die wichtig ist, aus uns selbst kommt.»

Der Autor
Tom Bouman, geboren 1979, ist im Nordosten des US-Bundesstaats Pennsylvania aufgewachsen. Er war in New York als Verlagslektor tätig. Als Musiker war er zudem Frontmann der Country-/Americana-Band The Flanks, die zwischen 2006 und 2012 drei Alben veröffentlichte; Bouman sang und spielte Gitarre, Mandoline, Banjo sowie Dampforgel. Vor rund fünf Jahren zog er mit seiner Familie – Frau und zwei Kinder – zurück ins nordöstliche Pennsylvania. Dort spielen auch seine Krimis, die dem Subgenre «Rural Noir» zugerechnet werden. Sein erster Roman «Dry Bones in the Valley» (2014; Deutsch: «Auf der Jagd», 2016) wurde mit renommierten Edgar Allan Poe Award für das beste Debüt ausgezeichnet. «Fateful Mornings» («Im Morgengrauen») ist sein zweites Buch.