30.12.2014

Die 10 besten Krimis 2014

Neuveröffentlichungen von schon früher auf Deutsch erschienenen Romanen erscheinen nur dann auf dieser Bestenliste, wenn sie in neuer Übersetzung vorliegen (so Stephen Hunter, William McIlvanney und Ross Thomas). Inhaltlich unveränderte Neuauflagen wurden dagegen nicht berücksichtigt, auch wenn sie einen neuen Titel bekommen haben (andernfalls stünde Lawrence Block, «Ruhet in Frieden», auch auf dieser Liste).



1.
James Lee Burke – Regengötter
(Heyne Hardcore)





2.
Adrian McKinty – Die Sirenen von Belfast
(Suhrkamp)





3.
Dennis Lehane – The Drop. Bargeld
(Diogenes)





4.
Terry Hayes – Faceless. Der Tod hat kein Gesicht
(Page & Turner)





5.
Marcus Sakey – Die Abnormen
(AmazonCrossing)





6.
Stephen Hunter – Shooter
(Festa)





7.
William McIlvanney – Laidlaw
(Antje Kunstmann Verlag)





8.
Jim Nisbet – Die Krake auf meinem Kopf
(Pulp Master)





9.
Ross Thomas – Fette Ernte
(Alexander Verlag)





10.
Nic Pizzolatto – Galveston
(Walde + Graf bei Metrolit)





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29.12.2014

Stephen Hunter – Shooter

(«Point of Impact», Bantam Dell, 1993)

Aus dem Amerikanischen von Patrick Baumann

2014, Festa Verlag, Leipzig, 637 Seiten
(erschien auf Deutsch erstmals 1994 in einer gekürzten Fassung unter dem Titel «Im Fadenkreuz der Angst», übersetzt von Bernhard Josef, im Paul List Verlag und 1996 als Taschenbuch bei Goldmann)

****
  
Der erste Satz
Es war ein kalter, nasser Novembermorgen im westlichen Arkansas, eine trostlose Dämmerung nach einer trostlosen Nacht.

Das Buch
Bob Lee Swagger war einer der besten Scharfschützen im Krieg in Vietnam. Heute lebt er zurückgezogen in den Ouachita Mountains in Arkansas. Waffen und Schiessen sind sein Lebensinhalt. Aber er schiesst nicht mehr, um zu töten. Hirsche mit grossem Geweih betäubt er und sägt ihnen die Hörner ab, damit niemand das Tier der Trophäe wegen abschiesst. Doch eines Tages besuchen zwei militärische Typen den Einsiedler und locken ihn mit spezieller Munition zu einem Testschiessen. Auf dem Schiessplatz vermutet Swagger schnell, dass die Truppe von der CIA oder einem anderen Geheimdienst ist. Und tatsächlich ziehen sie ihn geschickt in ein abenteuerliches Projekt, das dem Vaterland dienen soll. Doch das Ganze entpuppt sich als raffiniert gestellte Falle. Und Bob Lee Swagger wird als Staatsfeind gejagt. Doch Swagger ist ein harter Hund, der sich nicht leicht übertölpeln lässt. Er macht selbst Jagd auf seine Widersacher.
Stephen Hunter erzählt das als beinharte und höchst spannende Geschichte. Man spürt die Leidenschaft des Autors – und seines Helden – für Präzisionswaffen und das Schiessen. Man mag das problematisch finden, für Hunter ist das Schiessen aber keineswegs einfach Action und Rumballern, wie zum Beispiel für Don Winslow in «Vergeltung», sondern eine Art Lebensphilosophie. Wie es etwa Leute gibt, die sich mit Leib und Seele für mechanische Uhren begeistern, gibt es solche, die die Waffentechnik faszinierend finden, und das ist durchaus nachvollziehbar. Im Roman «Shooter» kommt zudem ein brisanter politischer Hintergrund dazu, bei dem es um Aktivitäten amerikanischer Geheimdienste in El Salvador geht. Und auch darum, wie Geheimdienste noch geheimere Ableger bilden, die sich an keine Regeln mehr halten, auch im eigenen Land nicht. So ist «Shooter» nebenbei auch ein intelligenter Politthriller.
Hunter ist ein brillanter und gescheiter Erzähler, sein Roman bleibt über mehr als 600 Seiten unglaublich fesselnd. Dem (oft angefeindeten) Festa Verlag gebührt Lob dafür, dass er dieses starke Stück in vollständiger Fassung auf Deutsch zugänglich macht. Und soeben ist auch der zweite Roman um Bob Lee Swagger unter dem Titel «Nachtsicht» bei Festa auf Deutsch erschienen.

Der Autor
Stephen Hunter, *1946 in Kansas City, Missouri, war Filmkritiker, zuletzt 1997 bis 2008 bei der «Washington Post»; 2003 wurde er als Kritiker mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Sein erster Roman «The Master Sniper» erschien 1980; seither veröffentlichte er über 20 Bücher, darunter auch Sachbücher mit Texten zu Filmen. Die 1993 mit «Point of Impact» (Deutsch: «Shooter») gestartete Serie um Bob Lee Swagger umfasst inzwischen neun Bände, eine Spin-off-Serie um dessen Vater Earl Swagger drei Bände. «Point of Impact» wurde 2006 unter dem Titel «Shooter» mit Mark Wahlberg als Bob Lee Swagger verfilmt. Stephen Hunter ist passionierter Pistolen-Sportschütze; er lebt in Baltimore, Maryland.

Der letzte Satz
«Wir können ihn zusammen mit dem Baby in meinem Bauch grossziehen.»




23.12.2014

Kim Zupan – Die rechte Hand des Teufels

(«The Ploughmen», Henry Holt, New York, 2014)

Aus dem Amerikanischen von Marie-Luise Bezzenberger

2014, Knaur Taschenbuch, München, 328 Seiten


***1/2


Der erste Satz
Der Junge stieg im Herbst des Jahres am Ende der trockenen Strasse aus dem Bus; der Grünstreifen schwirrte vom Zirpen der Grashüpfer, die wild aus dem Unkraut und den staubigen hellen Blättern der Ölweiden nach oben geschossen kamen, gegen seine Hosenbeine taumelten, von seinem Hemd abprallten.

Das Buch
Der Erstling von Kim Zupan ist eigentlich kein Krimi. Und auch die Bezeichnung «Psychothriller» auf der deutschen Ausgabe mit dem im Verhältnis zur Art, wie Zupan erzählt, ziemlich reisserischen Titel ist doch eher gewagt. «The Ploughmen», so der Originaltitel, ist einfach ein Roman, in dem die Hauptfiguren ein junger Deputy und ein alter Mörder sind. Beide waren in jungen Jahren «Ploughmen», sie pflügten Äcker, und in den langen Gesprächen in den Nächten im Gefängnis, wo John Gload während seines Prozesses einsitzt und Val Millimaki als Wächter Dienst tut, zeigt sich, dass die beiden vordergründig so unterschiedlichen Männer doch viel gemeinsam haben.
Zupan legt die Geschichte etwas gar episch an, schwelgt in ausführlichen Landschaftsbeschreibungen. Das macht den Roman bisweilen etwas zäh. Dass Zupan auf Action und vordergründige Spannung praktisch ganz verzichtet, stört dagegen überhaupt nicht. Denn er versteht es, die Typen mit Tiefe zu zeichnen. Da der Deputy, der in der Nacht arbeitet und am Tag nicht schlafen kann, dessen Frau unzufrieden ist, und der mit seinem Hund immer wieder Vermisste sucht, wobei es ihn belastet, dass er sie in letzter Zeit immer zu spät finden. Dort der manipulative Mörder, bei dem praktisch alles, was er an Gefühlen zu zeigen scheint, gespielt ist. Die Spannung bezieht der Roman aus der Entwicklung der Beziehung zwischen den beiden Männern und nicht zuletzt aus der Frage, was wohl der Mörder mit seinem Verhalten bezweckt. Ein beachtliches Debüt eines nicht mehr ganz jungen Autors.

Der Autor
Kim Zupan, *1953, wuchs in Great Falls, Montana, auf. Er war unter anderem professioneller Rodeoreiter und Zimmermann. Er lehrt am Missoula College der University of Montana das Zimmermannshandwerk. «The Ploughmen» ist sein erster Roman. Zupan lebt in Missoula, Montana.

Der letzte Satz
«Drecksviecher. Haut ab.»



16.12.2014

William McIlvanney – Laidlaw

(«Laidlaw», Hodder and Stoughton, London, 1977)

Aus dem Englischen von Conny Lösch

2014, Verlag Antje Kunstmann, München, 303 Seiten


****


Der erste Satz
Rennen war so eine Sache.

Das Buch
Während die meisten seiner Kollegen in Glasgow ein simples Bild von Gut und Böse haben, ist Detective Jack Laidlaw überzeugt davon, dass das nicht so einfach ist. So rät er dem jungen Polizisten, der ihm für die Suche nach dem Mörder, der eine junge Frau brutal umgebracht hat, zugeteilt wird:
«Wir (…) dürfen nicht vergessen, dass das, wonach wir suchen, ein Teil von uns ist. Wenn Sie das nicht begreifen, brauchen Sie gar nicht erst anzufangen.»

William McIlvanney ist ein Pionier des Noir-Thrillers in Schottland; der Roman «Laidlaw» ist 1977 erschienen. Auf Deutsch kam er erstmals 1979 heraus («Im Grunde ein ganz armer Hund», rororo thriller), doch der Verlag Antje Kunstmann hat den Roman für die neue Ausabe von der zuverlässigen Übersetzerin Conny Lösch neu übertragen lassen. Und das liest sich dann etwa so:
Es ist das staatliche Leichenschauhaus, der Lieferanteneingang des Gerichts. Hier trifft das Rohmaterial der Rechtsprechung ein. Leichen, der Niederschlag absonderlicher Erfahrungen, Legierungen aus Angst und Hass, Wut und Liebe, Verderbtheit und Bestürzung, werden hier in Verständlichkeit überführt. Durch die doppelte Glastür kommen jene, die Verluste abzuholen haben. Sie nehmen die Eingeweide eines Todes mit, seine Intimität, die irrelevante Einzigartigkeit der Person, all die Einzelteile, für die niemand mehr Verwendung hat. Das Gericht behält nur, worauf es ankommt und wodurch jemand zum Ereignis wurde.

Passagen wie diese zeigen, dass wir es hier nicht mit einem simplen Whodunit-Krimi zu tun haben, sondern mit Kriminalliteratur, die tief in die menschlichen Abgründe taucht. Ein starkes Buch. Zu hoffen ist, dass diesmal auch die beiden weiteren Romane um Jack Laidlaw übersetzt werden.

Der Autor
William McIlvanney, *1936 in Kilmarnock, Schottland, war bis 1975 als Englischlehrer tätig. 1966 veröffentlichte er sein erstes Buch, «Remedy is None». Seiter erschienen mehr als ein Dutzend Bücher von ihm, für die er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Er veröffentlichte auch Gedichte und Sachbücher. «Laidlaw» (1977; auf Deutsch 1979 bei Rowohlt erstmals erschienen) ist der erste von drei Romanen um Detective Jack Laidlaw in Glasgow, die weiteren sind «The Papers of Tony Veitch (1983) und «Strange Loyalities» (1991). Damit gilt McIlvanney als Pionier des «Tartan Noir», des modernen, schottischen hardboiled Krimis. «Ohne McIlvanney wäre ich wohl kein Krimiautor geworden», sagt Ian Rankin, heute wohl der bekannteste schottische Kriminalschriftsteller.

Der letzte Satz
«Hast doch einen Mund, oder nicht?», sagte Laidlaw.