(«I Am Pilgrim», Bantam Press, London, 2013)
Aus dem Englischen von Michael Benthack
2014, Page & Turner/Wilhelm Goldmann Verlag, München,
796 Seiten
****1/2
Der erste Satz
Es gibt Orte, an die ich mich zeitlebens erinnern werde –
der Rote Platz, über den ein heisser Wind hinwegfegt, das Schlafzimmer meiner
Mutter auf der falschen Seite der 8 Mile Road, der riesige Park eines
exklusiven Kinderheims, eine Gruppe von Ruinen namens «Theater des Todes», in
denen ein Mann wartete, um mich zu töten.
Das Buch
Dieser knapp 800 Seiten starke Wälzer ist schon Ende Mai 2014
erschienen, doch es sind mir keine Rezensionen in deutschsprachigen Medien
aufgefallen. Auch bei mir lag das Buch einige Monate auf dem
«ungelesen»-Stapel, bis ich mich dazu aufraffte, einen Blick hinein zu werfen.
Mit dem Effekt, dass ich es kaum noch aus der Hand legen wollte. Der erste
Roman des bereits über 60-jährigen englischen Filmproduzenten und
Drehbuchautors Terry Hayes ist ein ebenso intelligenter wie packender Politthriller um Terrorismus nach
9/11, um einen hochintelligenten Moslem, der die USA mit einem tückischen Virus
im Alleingang besiegen will.
Bestimmt war der Typ im Hindukusch der erste einer neuen Art
islamistischer Fanatiker – intelligent, erstklassige Bildung, technisch
versiert. Er war die Sorte Mann, die die Flugzeugentführer vom 11. September
wie Strolche und Rabauken aussehen liess. (…) Sehr bald schon würden wir uns
zurücksehen nach den guten alten Tagen von Selbstmordattentätern und
Entführern.
Ein Agent mit dem Codenamen Pilgrim (deutsch: Pilger; der
Originaltitel des Buches ist «I Am Pilgrim»), der Ich-Erzähler, macht sich auf,
den Mann zu finden, der seine Spuren zu verwischen weiss wie kaum jemand. Aber auch der Agent ist ein Mann, der kaum zu fassen ist, der viele Identitäten hat.
In den folgenden Jahren, in denen ich unter zahlreichen
falschen Namen in der Welt herumreiste, begriff ich, dass die besten
Geheimagenten, die mir begegneten, bereits vor ihrem Eintritt in einen
Geheimdienst gelernt hatten, ein Doppelleben zu führen.
Zu ihnen gehören wortkarge Männer in einer homophoben
sozialen Umwelt, heimliche Ehebrecher mit Ehefrauen in den Vorstädten, Spieler
und Süchtige, Alkoholiker und Perverse. Worin ihre Probleme auch bestanden, sie
hatten alle lange geübt, der Welt ein Trugbild ihrer selbst vorzugaukeln. Von
dort war es nur ein kleiner Schritt, eine weitere Maske aufzusetzen und der
Regierung zu dienen.
Hayes holt weit aus, taucht tief in die Geschichten der
wichtigsten Protagonisten, ohne dabei aber jemals langatmig zu werden. Im Gegenteil.
Das Buch bleibt vom ersten bis zum letzten Satz unglaublich spannend und wirkt
abgesehen davon, dass der Ich-Erzähler vielleicht etwas gar Superman-mässig
rüberkommt, über weite Strecken auch beklemmend realistisch. Dabei behält Hayes bei aller Dramatik und Gewalt auch immer einen trockenen (englischen)
Humor, etwa wenn er seinen Agenten geduckt aus einem Taxi schlüpfen lässt:
Der Fahrer hielt mich für verrückt – aber in seiner Religion
hält man es ja auch für vernünftig, eine Frau wegen Ehebruch zu Tode zu
steinigen, deshalb waren wir wohl einigermassen quitt.
«Faceless» ist einer der besten Politthriller der letzten
Jahre.
Der Autor
Terry Hayes, *1951 in England, war Journalist,
bevor er ins Filmgeschäft wechselte. Er hat am Drehbuch des Films «Mad Max 2:
The Road Warrior» (1981) mitgearbeitet und war seither als Autor und Produzent
bei verschiedenen Projekten beteiligt. Für «From Hell» (2001; mit Johnny Depp)
wurde er mit dem Bram Stoker Award für das beste Drehbuch ausgezeichnet. «I Am
Pilgrim» ist sein erster Roman; sein zweites Buch «The Year of the Locust» soll
auf Englisch im Juni 2015 erscheinen. Hayes lebt in Australien.
Der letzte Satz
Er ist auferstanden.
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