03.12.2014

Terry Hayes – Faceless. Der Tod hat kein Gesicht

(«I Am Pilgrim», Bantam Press, London, 2013)

Aus dem Englischen von Michael Benthack

2014, Page & Turner/Wilhelm Goldmann Verlag, München, 796 Seiten


****1/2


Der erste Satz
Es gibt Orte, an die ich mich zeitlebens erinnern werde – der Rote Platz, über den ein heisser Wind hinwegfegt, das Schlafzimmer meiner Mutter auf der falschen Seite der 8 Mile Road, der riesige Park eines exklusiven Kinderheims, eine Gruppe von Ruinen namens «Theater des Todes», in denen ein Mann wartete, um mich zu töten.

Das Buch
Dieser knapp 800 Seiten starke Wälzer ist schon Ende Mai 2014 erschienen, doch es sind mir keine Rezensionen in deutschsprachigen Medien aufgefallen. Auch bei mir lag das Buch einige Monate auf dem «ungelesen»-Stapel, bis ich mich dazu aufraffte, einen Blick hinein zu werfen. Mit dem Effekt, dass ich es kaum noch aus der Hand legen wollte. Der erste Roman des bereits über 60-jährigen englischen Filmproduzenten und Drehbuchautors Terry Hayes ist ein ebenso intelligenter wie packender Politthriller um Terrorismus nach 9/11, um einen hochintelligenten Moslem, der die USA mit einem tückischen Virus im Alleingang besiegen will.

Bestimmt war der Typ im Hindukusch der erste einer neuen Art islamistischer Fanatiker – intelligent, erstklassige Bildung, technisch versiert. Er war die Sorte Mann, die die Flugzeugentführer vom 11. September wie Strolche und Rabauken aussehen liess. (…) Sehr bald schon würden wir uns zurücksehen nach den guten alten Tagen von Selbstmordattentätern und Entführern.

Ein Agent mit dem Codenamen Pilgrim (deutsch: Pilger; der Originaltitel des Buches ist «I Am Pilgrim»), der Ich-Erzähler, macht sich auf, den Mann zu finden, der seine Spuren zu verwischen weiss wie kaum jemand. Aber auch der Agent ist ein Mann, der kaum zu fassen ist, der viele Identitäten hat.

In den folgenden Jahren, in denen ich unter zahlreichen falschen Namen in der Welt herumreiste, begriff ich, dass die besten Geheimagenten, die mir begegneten, bereits vor ihrem Eintritt in einen Geheimdienst gelernt hatten, ein Doppelleben zu führen.
Zu ihnen gehören wortkarge Männer in einer homophoben sozialen Umwelt, heimliche Ehebrecher mit Ehefrauen in den Vorstädten, Spieler und Süchtige, Alkoholiker und Perverse. Worin ihre Probleme auch bestanden, sie hatten alle lange geübt, der Welt ein Trugbild ihrer selbst vorzugaukeln. Von dort war es nur ein kleiner Schritt, eine weitere Maske aufzusetzen und der Regierung zu dienen.

Hayes holt weit aus, taucht tief in die Geschichten der wichtigsten Protagonisten, ohne dabei aber jemals langatmig zu werden. Im Gegenteil. Das Buch bleibt vom ersten bis zum letzten Satz unglaublich spannend und wirkt abgesehen davon, dass der Ich-Erzähler vielleicht etwas gar Superman-mässig rüberkommt, über weite Strecken auch beklemmend realistisch. Dabei behält Hayes bei aller Dramatik und Gewalt auch immer einen trockenen (englischen) Humor, etwa wenn er seinen Agenten geduckt aus einem Taxi schlüpfen lässt:

Der Fahrer hielt mich für verrückt – aber in seiner Religion hält man es ja auch für vernünftig, eine Frau wegen Ehebruch zu Tode zu steinigen, deshalb waren wir wohl einigermassen quitt.

«Faceless» ist einer der besten Politthriller der letzten Jahre.

Der Autor
Terry Hayes, *1951 in England, war Journalist, bevor er ins Filmgeschäft wechselte. Er hat am Drehbuch des Films «Mad Max 2: The Road Warrior» (1981) mitgearbeitet und war seither als Autor und Produzent bei verschiedenen Projekten beteiligt. Für «From Hell» (2001; mit Johnny Depp) wurde er mit dem Bram Stoker Award für das beste Drehbuch ausgezeichnet. «I Am Pilgrim» ist sein erster Roman; sein zweites Buch «The Year of the Locust» soll auf Englisch im Juni 2015 erscheinen. Hayes lebt in Australien.

Der letzte Satz

Er ist auferstanden.





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