27.03.2015

James Lee Burke – Sturm über New Orleans

(«The Tin Roof Blowdown», Simon & Schuster, New York, 2007)

Aus dem Amerikanischen von Georg Schmidt

2015, Pendragon Verlag, Bielefeld, 576 Seiten


*****


Der erste Satz
In meinen schlimmsten Träumen kommen immer Szenen mit braunem Wasser und Elefanten-grasfeldern im Abwind von Rotorblättern vor.

Das Buch
Endlich, das Warten hat ein Ende: Dave Robicheaux ist zurück. Die Romanserie aus den Sümpfen Louisianas ist eine der besten Krimi-Reihen. Seit 1987 sind 20 Bände erschienen, 11 davon auch auf Deutsch (bei Goldmann), in den letzten zwölf Jahren warteten die Leser vergeblich auf übersetzten Nachschub. Letztes Jahr nun ist der geniale Hackberry-Holland-Wälzer «Regengötter» auf Deutsch erschienen (bei Heyne), der beste Krimi auf Deutsch im Jahr 2014, jetzt nimmt Pendragon die Robicheaux-Reihe verdienstvollerweise wieder auf mit dem Roman, der das Katrina-Desaster zu verarbeiten versucht – übertragen vom 2011 erst 59-jährig verstorbenen grossen Übersetzer Georg Schmidt.
James Lee Burke, einer der besten lebenden Krimiautoren, schreibt in einem «Gruss an die deutschen Leser»:
Mit Dave Robicheaux bin ich seit 1987 zusammen. Gewiss ist er kein perfekter Mann, er hat seine Schwächen und Sünden und Dämonen. Aber er versucht, das Richtige zu tun. Wir alle wissen von uns selbst, wie schwierig oder beinah unmöglich so etwas manchmal werden kann. Da leide ich als Autor oft mit Dave, er ist mir nah.
Nie aber war ich so froh, ihn zu haben – und bin es bis heute –, als es galt, mit den seelischen Folgen jener verheerenden Katastrophe umzugehen, die wir unter dem Namen «Hurrikan Katrina» kennen. Dave hat mir geholfen, den Schmerz, den Schock und die Schande von Katrina ein wenig von der Seele zu heben. Was damals in New Orleans geschah, das war nicht nur eine Naturkatastrophe, das war das grösste Versagen einer Regierung, der denkbar grösste Verrat an der eigenen Bevölkerung. Es war ein Verbrechen. Eine nationale Schande. Eine Wunde, die in den Geschichtsbüchern auf immer festgehalten bleiben wird.
Manche sagen, dies sei mein politischstes Buch. Sicher ist es mein wütendstes. Nichts davon habe ich zurückzunehmen. Die Dave-Robicheaux-Romane, sagt man mir, waren längere Zeit in Deutschland nicht mehr zugänglich. Dass der Faden jetzt wieder aufgenommen wird, ist eine wunderbare Nachricht. Beinahe noch mehr freut mich, dass dies nun mit «Sturm über New Orleans» geschieht.
Dieses Buch liegt mir am Herzen. Wenn Sie es gelesen haben, wissen Sie warum.

Dem ist nicht viel beizufügen. Ein grossartiges Buch, bitter und hart. New Iberia, wo Robicheaux als Detective für den Sheriff arbeitet, ist von Katrina verschont geblieben, doch die Cops aus der Provinz müssen in New Orleans aushelfen. Und es ist einfach nur grauenhaft. Leichen so weit das Auge reicht. Und Plünderer, darunter auch Cops. Robicheaux hält es fast nicht aus.
Aber ich durfte mir keinen Hass erlauben. Weder als Ordnungshüter noch als trockener Alkoholiker durfte ich das. Bei den Anonymen Alkoholikern lehrt man uns, dass diejenigen, die uns den grössten Ärger bereiteten, krank sind, nicht viel anders als wir selbst. Manchmal fällt es mir schwer, sich auf dieses Gebot einzulassen. Leider dürfen sich trockene Trinker bei ihren Gefühlen keine Freiheiten herausnehmen. Meine Lieblingsstelle bei Ernest Hemingway wird immer seine Anregung in «Tod am Nachmittag» bleiben, dass sich die grössten Übel beheben liessen, wenn man ein paar Tage lang jeden, den man möchte, erschiessen könnte.

Der Autor
James Lee Burke, *1936 in Houston, Texas, publizierte in den 1960er Jahren seine ersten Bücher, die von der Kritik gelobt wurden. Doch für sein viertes Buch, «The Lost Get-Back», bekam er nur Absagen (nachdem es 1986 doch noch erschien, wurde es für den Pulitzer-Preis nominiert), und es dauerte 13 Jahre, bis er sein nächstes Buch veröffentlichen konnte. 1987 startete er mit «The Neon Rain» («Neonregen») die Serie mit Dave Robicheaux, am Anfang noch bei der Polizei in New Orleans, später Mitarbeiter des Sheriffs in der Kleinstadt New Iberia am Bayou Teche in Louisiana, die zu den besten Krimi-Reihen überhaupt zählt. Zudem sind auf Deutsch «Regengötter» mit Hackberry Holland sowie drei der vier Romane um Hackberrys Cousin Billy Bob Holland erschienen. Burkes Werk ist vielfach preisgekrönt, zweimal wurde er mit dem renommierten Edgar Allan Poe Award ausgezeichnet. Burke lebt mit seiner Frau Pearl in Lolo, Montana und New Iberia, Louisiana; sie haben vier erwachsene Kinder, Tochter Alafair Burke schreibt auch Kriminalromane.

Der letzte Satz
Aber auf irgendeine Art, die ich ganz verstehe, weiss Bertrand, dass sie jetzt alle in Sicherheit sind, ihn eingeschlossen, geborgen in einem Zinngefäss, das so gross ist wie die Hand Gottes.


20.03.2015

Barry Eisler – Der Zirkel der Macht

(«Inside Out», Ballantine Books, 2010; Author Solutions, 2013))

Aus dem Amerikanischen von Peter Friedrich

2014, AmazonCrossing, Luxemburg, 399 Seiten


***1/2


Der erste Satz
Ulrich starrte Clements an und hoffte, sich verhört zu haben.

Das Buch
Barry Eisler weiss aus eigener Tätigkeit, wie Geheimdienste funktionieren. Sein neuer Thriller um Ben Treven, der für eine geheime Sondereinheit arbeitet, basiert auf einer tatsächlichen Begebenheit: Die CIA soll 92 Foltervideos vernichtet haben. In Eislers Roman wurden die Videos allerdings nicht vernichtet, sondern geklaut. Und die US-Regierung wird damit erpresst. Daraus entwickelt Eisler eine spannende Geschichte, in der er mit ätzendem Sarkasmus politische Machenschaften darstellt:
Ein ungeschriebenes Gesetz der amerikanischen Politik lautete, dass der Sündenbock dem Ausmass des Skandals angemessen sein musste. Bei Abu Ghraib hatte es genügt, ein paar einfache Soldaten zu opfern. Watergate dagegen hatte den Rücktritt des Präsidenten erfordert. Und die Regel hatte noch ein weiteres wichtiges Element: Je mehr ein Politiker sich auf die nationale Sicherheit als Rechtfertigung berufen konnte, desto geringer war die Auswirkung des Skandals. Darum wäre Clinton über seinen Blowjob beinahe gestolpert, während der Vorwurf von Kriegsverbrechen sich problemlos abbiegen liess.

In der Hoffnung, ungeschoren davonzukommen, lassen die Politiker den Erpresser jagen. Dabei kommt Ben Treven zum Einsatz. Doch auch andere Organisationen wie FBI und CIA verfolgen in dem Fall ihre eigenen Interessen, was zu allerhand Konfusionen und Verwicklungen führt.
Aber nicht nur die Politik ist da ein zentrales Thema, sondern auch die Folter an sich, die Eisler grauenerregend schildert. Und seit den letzten Enthüllungen über die Methoden, welche die CIA anwendet, wissen wir, dass diese Schilderungen keineswegs übertrieben sind. Eisler zweifelt auch die Wirkung der Folter an; einen, der es wissen muss, lässt er in seinem Roman sagen:
«Die Leute behaupten immer, sie würden Folter anwenden, um Informationen zu erhalten. Doch dazu gibt es viel bessere Wege. Man foltert nicht nur, weil man Informationen haben will. Man foltert, weil man foltern will.»

Die neueren Romane Barry Eislers wirken etwas schwerfälliger als seine virtuose Reihe um den Auftragskiller John Rain. Das liegt vor allem an seinem Bestreben, seine politische Mission unmissverständlich klarzumachen. Am Schluss des Buches stehen mehrere Seiten Quellenhinweise, die zeigen, dass vieles in der Geschichte nicht erfunden ist, sowie eine ausführliche Bibliografie zum US-Folterprogramm, zu Guantánamo, Bürgerrechten und zur «Komplizenschaft zwischen Regierung und Medien». Auf der einen Seite ist Eislers Engagement bewundernswert und sehr ehrenhaft, auf der anderen Seite schlägt es aber leider schon etwas auf die literarische Qualität. Es ist zu hoffen, dass der eigentlich ausgezeichnete Autor in seinen künftigen Werken eine bessere Balance findet.

Der Autor
Barry Eisler, *1964 in New Jersey, arbeitete nach dem Studium als verdeckter Agent bei der CIA und war danach im Silicon Valley und in Japan als Fachanwalt für Technologie und als Manager für Unternehmungsgründungen tätig. Ab 2002 machte er mit seiner Thriller-Reihe um den amerikanisch-japanischen Auftragskiller John Rain («Tokio Killer») als Autor Furore. Die sieben auf Deutsch(bei Scherz und als Fischer Taschenbücher) erschienen Titel der Reihe werden derzeit auf Wunsch des Autors mit neuen Titeln bei AmazonCrossing neu aufgelegt. Ein neuer, der achte, John-Rain-Roman erschien auf Englisch 2014. Eisler, der in der Bay Area von San Francisco lebt, bloggt unter dem Titel «The Heart of the Matter» engagiert über Bürgerrechte, Folter und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.

Der letzte Satz

Ja, wenn es darum ging, Schaden anzurichten, war der innere Zirkel der Macht ein verdammt guter Ort dafür.



11.03.2015

Stephen Hunter – Nachtsicht

(«Black Light», Island Books, 1996)

Aus dem Amerikanischen von Patrick Baumann

2014, Festa Verlag, Leipzig, 601 Seiten


***1/2


Der erste Satz
Heutzutage braucht man etwa eine Stunde, um von Fort Smith über den Harry Etheridge Memorial Parkway in südlicher Richtung nach Blue Eye in Polk County zu fahren.

Das Buch
Bob Lee Swagger führt ein zurückgezogenes Leben, nachdem er heil aus einer üblen Verschwörung herausgekommen ist («Shooter», ****). Schreiberlinge, die seine Geschichte erzählen wollen, lässt er abblitzen. Doch dann kommt einer, der über seinen Vater, der Polizist war und erschossen wurde, als Swagger noch ein Kind war, schreiben will. Das führt dazu, das er ein erstes Mal die Unterlagen über seinen Vater anschaut. Und da im Obduktionsbericht auf eine Ungereimtheit stösst: Der Todesschuss musste aus einer anderen Waffe stammen, als der des jugendlichen Kriminellen, der Swaggers Vater erschossen haben soll. Wieso wurde das vertuscht?
Zusammen mit dem jungen Journalisten macht sich Swagger auf, dieser Sache auf den Grund zu gehen. Es ist eine ziemlich abenteuerliche Verschwörungsgeschichte, die Swagger da Jahrzehnte später aufrollt. Wäre Stephen Hunter nicht ein so guter Erzähler, würde einen dieses im Grunde wenig glaubwürdige Konstrukt schon bald ziemlich nerven. Aber ihm gelingt es, die Spannung hochzuhalten. Und gut zu unterhalten. Unter anderem auch mit seinem Humor und seiner manchmal ätzenden Ironie. Etwa wenn es um einen der Bösen, Red, und dessen Familienverhältnisse geht:
Seine erste Frau hatte er geliebt und liebt sie noch immer, obwohl er sich von ihr hat scheiden lassen, als sie ihm ein wenig zu alt geworden ist. Sie hat bei der Wahl zur Miss Arkansas 1972 seinerzeit den dritten Platz erreicht. Er liebt seine neue Frau, die 37 Jahre alt und blond ist und bei den Miss-Wahlen von Arkansas 1986 verbürgterweise den zweiten Platz erreicht hat. Und das war damals, als Teilnehmerinnen an Schönheitswettbewerben noch echte Titten hatten und es dabei noch wirklich um Schönheit ging und nicht darum, die Wale zu retten, den Schmerz der Obdachlosen nachzuempfinden und um all diese anderen jämmerlichen Gemeinplätze des liberalen Gutmenschentums, die Amerika in den Ruin getrieben haben. Nach dem Thema kann man Red immer fragen: Er wird einem alles darüber erzählen. Das ist sein wunder Punkt.

Der Autor
Stephen Hunter, *1946 in Kansas City, Missouri, war Filmkritiker, zuletzt 1997 bis 2008 bei der «Washington Post»; 2003 wurde er als Kritiker mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Sein erster Roman «The Master Sniper» erschien 1980; seither veröffentlichte er über 20 Bücher, darunter auch Sachbücher mit Texten zu Filmen. «Nachtsicht» ist der zweite Band der 1993 mit «Point of Impact» (Deutsch: «Shooter») gestarteten Serie um Bob Lee Swagger, die inzwischen neun Bücher umfasst; zudem gibt es eine Spin-off-Serie um Bob Lees Vater Earl Swagger mit drei Bänden. Stephen Hunter ist passionierter Pistolen-Sportschütze; er lebt in Baltimore, Maryland.

Der letzte Satz
Seine Frau und seine Tochter standen dort und erwarteten ihn.



04.03.2015

Joe R. Lansdale – Das Dickicht

(«The Thicket», Mullholland Books, New York, 2013)

Aus dem Amerikanischen von Hannes Riffel

2014, Tropen / J. G. Cotta’sche Buchhandlung, Stuttgart, 331 Seiten

****


Der erste Satz
Als Grossvater zu uns rausgefahren kam und mich und meine Schwester Lula abholte und zur Fähre karrte, ahnte ich nicht, dass alles bald noch viel schlimmer werden oder dass ich mich mit einem schiesswütigen Zwerg zusammentun würde, mit dem Sohn eines Sklaven und einem grossen, wütenden Eber, geschweige denn, dass ich mich unsterblich verlieben und jemand erschiessen würde, aber genau so war’s.

Das Buch
Seine Romane, die vor rund hundert Jahren in East Texas spielen und deren Hauptfiguren Jugendliche sind – nach «Dunkle Gewässer» jetzt «Das Dickicht» –, sind eigentlich nicht wirklich Kriminalromane. Der brillante texanische Autor Joe R. Lansdale, der in verschiedensten Genres stilsicher zu Hause ist, verbindet da ebenso unbekümmert wie virtuos Elemente von Western, Abenteuergeschichte, Entwicklungsroman und Krimi zu einer höchst bekömmlichen Mischung voll von schwarzem Humor, blutiger Gewalt und ergötzendem Kennenlernen der Welt, wie sie wirklich ist. Auch wenn die Hauptfiguren junge Menschen an der Schwelle zum Erwachsenwerden sind, ist das keineswegs Jugendliteratur.
Der erste Satz fasst eigentlich das ganze Buch schon sehr schön zusammen. Nachdem die Eltern von einer Pockenepidemie dahingerafft wurden, will der Grossvater Jack, den Ich-Erzähler und dessen Schwester zu einer Tante nach Oklahoma bringen. Unterwegs geraten sie jedoch an üble Ganoven, die den Grossvater erschiessen und die Schwester entführen. Der junge Jack sucht Verbündete, um Jagd auf die Gangster zu machen. Dass er sich dabei ausgerechnet in eine junge Dame aus dem horizontalen Gewerbe verguckt, macht das ganze Schlamassel für den frommen Jungen auch nicht einfacher.

Ich gelangte zu der Feststellung, dass mir nichts anderes übrig blieb, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, aber ganz ehrlich, ich hatte Magengrimmen dabei und spürte, wie mir Jesus vorwurfsvoll eine Hand auf die Schulter legte. Mir wurde sogar eine Weile ganz warm von der Nähe des Herrn, bis ich entdeckte, dass mir ein Vogel auf die Schulter geschissen hatte.

Im Lauf der Geschichte muss Jack lernen, dass Ratschläge von Predigern auf dem harten Weg durch raue Zeiten wenig hilfreich sind und dass man besser mal richtig zulangt, als die andere Backe hinzuhalten.
Witzig, spannend; ein schönes Lesevergnügen.

Der Autor
Joe R. Lansdale, *1951 in Gladewater, Texas, ist ein erfolgreicher Autor, der in verschiedenen Genres mehr als 40 Romane veröffentlichte. Zunächst widmete er sich vor allem dem Horror- und dem Science-fiction-Genre. Bekannt ist er auch für Western und für seine witzige Krimireihe um Hap und Leonard. Lansdale ist vielfach preisgekrönt, er erhielt u.a. neun Mal den Bram Stoker Award, wurde mit dem British Fantasy Award, dem American Horror Award, dem Edgar Award und dem World Horror Convention Grand Master Award ausgezeichnet. Neben der Literatur beschäftigt sich Lansdale auch mit Martial arts, Kampfkünsten. An seiner eigenen Martial-arts-Schule in Nacogdoches, Texas, unterrichtet er ein eigenes Selbstverteidigungssystem; er wurde in die United States Martial Arts Hall of Fame und in die International Martial Arts Hall of Fame aufgenommen. Die Country-Sängerin Kasey Lansdale ist seine Tochter; Sohn Keith ist Journalist und Drehbuchautor. Lansdale lebt im Städtchen Nacogdoches in East Texas.

Der letzte Satz
Und dieser Gedanke beunruhigte mich nicht im Mindesten.