Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte
2015, Droemer Verlag, München, 831 Seiten
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Der erste Satz
Keller hört ein Baby schreien.
Das Buch
Mit dem erschütternden Drogenkriegs-Epos «The Power of the
Dog» (*****; 2005; Deutsch als «Die Tage der Toten» 2010 bei Suhrkamp) hat Don
Winslow die Messlatte so hoch gelegt, dass er sie selbst mit seinen besten
Werken nicht mehr erreichte, von den weniger guten wollen wir hier gar nicht
reden. Auf fast 700 Seiten breitete er auf packende Art und Weise die
Geschichte des amerikanischen «Kriegs gegen die Drogen» aus und machte dessen
Sinnlosigkeit offenkundig. Ein wahres Meisterwerk.
Mit «Das Kartell» legt er jetzt die Fortsetzung vor. Der
amerikanische Drogenkrieger Art Keller hat sich in ein Kloster zurückgezogen.
Doch als ihn die Nachricht erreicht, dass einer der grossen Drogenbosse 2
Millionen Dollar Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hat, kehrt er zurück in den Krieg,
der nur noch brutaler geworden ist und nach wie vor die Lage eher verschlimmert
als verbessert.
Der sogenannte Krieg gegen die Drogen ist ein Karussell.
Fliegt einer raus, steigt sofort der nächste ein. Und solange die Gier nach
Drogen unersättlich ist, bleibt das so. Der gierige Moloch aber lauert auf dieser
Seite der Grenze.
Was die Politiker nie verstehen oder auch nur zur Kenntnis
nehmen: Das sogenannte mexikani-sche Drogenproblem ist nicht das mexikanische
Drogenproblem, es ist das amerikanische Drogenproblem.
Ohne Käufer kein Geschäft.
Die Lösung liegt nicht in Mexiko.
Auf über 800 Seiten rapportiert Winslow in seiner fiktiven
Romanhandlung, wie sich die Situation in Mexiko von 2004 bis 2012
tatsächlich entwickelt hat, wie sich die Kartelle in diesen Jahren
untereinander bekriegten und Allianzen schlossen, wie die Auseinandersetzungen
um die besten Grenzübergänge zu den USA immer grauenvoller wurden, wie Ciudad
Juárez, die Grenzstadt zum texanischen El Paso, zur gefährlichsten Stadt der
Welt wurde, wie Dutzende, Hunderte, ja Tausende von Menschen gefoltert und
getötet, ja regelrecht abgeschlachtet wurden.
Winslow versteht sein Handwerk, er kann Spannung aufbauen,
packt das Grauen in eine fesselnde Geschichte, schreibt, wie immer, brillante
Dialoge. Doch man muss «Das Kartell» an «Die Tage der Toten» messen, und die
Fortsetzung erreicht leider nie die beklemmende Intensität des Vorgängers. Wie
in seinen letzten, enttäuschenden Romanen greift Winslow auch in «Das Kartell»
immer öfter zu allzu simplen Klischees. Und das hochstilisierte Duell zweier
Männer trübt den Blick auf die wirklichen Dramen. Dennoch ist «Das Kartell» noch allemal lesenswert.
Der Autor
Don Winslow, *1953 in New York City, schrieb sich mit dem Meisterwerk «The Power of the Dog» (*****; 2005; deutsch 2010 als «Die Tage
der Toten») in die Topliga des Genres. Nach diesem Drogenkrieg-Epos
brillierte er mit ein paar Südkalifornien-Surfer-Krimis, die auf Deutsch vor
«Die Tage der Toten» erschienen sind. Stark waren auch noch die Drogenkrimis
«Savages – Zeit des Zorns» (2011) und «Kings of Cool» (2012, beide bei
Suhrkamp). Mit «Vergeltung» (*1/2; 2014, Suhrkamp) und
«Missing. New York» (**1/2; 2014, Droemer Knaur) scheint
er dagegen seinen deutschen Verlagen seinen Ausschuss angedreht zu haben –
beide Romane sind auf Englisch nicht erschienen. Bei Suhrkamp erscheint
derzeit die Neal-Carey-Reihe, die erstmals in den 1990er-Jahren erschienen ist,
auf Deutsch.
Der letzte Satz
Mehr ist nicht zu tun.
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