13.07.2015

Don Winslow – Das Kartell

(«The Cartel», Alfred A. Knopf, New York, 2015)

Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte

2015, Droemer Verlag, München, 831 Seiten



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Der erste Satz
Keller hört ein Baby schreien.

Das Buch
Mit dem erschütternden Drogenkriegs-Epos «The Power of the Dog» (*****; 2005; Deutsch als «Die Tage der Toten» 2010 bei Suhrkamp) hat Don Winslow die Messlatte so hoch gelegt, dass er sie selbst mit seinen besten Werken nicht mehr erreichte, von den weniger guten wollen wir hier gar nicht reden. Auf fast 700 Seiten breitete er auf packende Art und Weise die Geschichte des amerikanischen «Kriegs gegen die Drogen» aus und machte dessen Sinnlosigkeit offenkundig. Ein wahres Meisterwerk.
Mit «Das Kartell» legt er jetzt die Fortsetzung vor. Der amerikanische Drogenkrieger Art Keller hat sich in ein Kloster zurückgezogen. Doch als ihn die Nachricht erreicht, dass einer der grossen Drogenbosse 2 Millionen Dollar Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hat, kehrt er zurück in den Krieg, der nur noch brutaler geworden ist und nach wie vor die Lage eher verschlimmert als verbessert.

Der sogenannte Krieg gegen die Drogen ist ein Karussell. Fliegt einer raus, steigt sofort der nächste ein. Und solange die Gier nach Drogen unersättlich ist, bleibt das so. Der gierige Moloch aber lauert auf dieser Seite der Grenze.
Was die Politiker nie verstehen oder auch nur zur Kenntnis nehmen: Das sogenannte mexikani-sche Drogenproblem ist nicht das mexikanische Drogenproblem, es ist das amerikanische Drogenproblem.
Ohne Käufer kein Geschäft.
Die Lösung liegt nicht in Mexiko.

Auf über 800 Seiten rapportiert Winslow in seiner fiktiven Romanhandlung, wie sich die Situation in Mexiko von 2004 bis 2012 tatsächlich entwickelt hat, wie sich die Kartelle in diesen Jahren untereinander bekriegten und Allianzen schlossen, wie die Auseinandersetzungen um die besten Grenzübergänge zu den USA immer grauenvoller wurden, wie Ciudad Juárez, die Grenzstadt zum texanischen El Paso, zur gefährlichsten Stadt der Welt wurde, wie Dutzende, Hunderte, ja Tausende von Menschen gefoltert und getötet, ja regelrecht abgeschlachtet wurden.
Winslow versteht sein Handwerk, er kann Spannung aufbauen, packt das Grauen in eine fesselnde Geschichte, schreibt, wie immer, brillante Dialoge. Doch man muss «Das Kartell» an «Die Tage der Toten» messen, und die Fortsetzung erreicht leider nie die beklemmende Intensität des Vorgängers. Wie in seinen letzten, enttäuschenden Romanen greift Winslow auch in «Das Kartell» immer öfter zu allzu simplen Klischees. Und das hochstilisierte Duell zweier Männer trübt den Blick auf die wirklichen Dramen. Dennoch ist «Das Kartell» noch allemal lesenswert.

Der Autor
Don Winslow, *1953 in New York City, schrieb sich mit dem Meisterwerk «The Power of the Dog» (*****; 2005; deutsch 2010 als «Die Tage der Toten») in die Topliga des Genres. Nach diesem Drogenkrieg-Epos brillierte er mit ein paar Südkalifornien-Surfer-Krimis, die auf Deutsch vor «Die Tage der Toten» erschienen sind. Stark waren auch noch die Drogenkrimis «Savages – Zeit des Zorns» (2011) und «Kings of Cool» (2012, beide bei Suhrkamp). Mit «Vergeltung» (*1/2; 2014, Suhrkamp) und «Missing. New York» (**1/2; 2014, Droemer Knaur) scheint er dagegen seinen deutschen Verlagen seinen Ausschuss angedreht zu haben – beide Romane sind auf Englisch nicht erschienen. Bei Suhrkamp erscheint derzeit die Neal-Carey-Reihe, die erstmals in den 1990er-Jahren erschienen ist, auf Deutsch.

Der letzte Satz

Mehr ist nicht zu tun.


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