28.10.2014

Don Winslow – Missing. New York

(«Missing. New York», Alfred A. Knopf, New York, 2014
[steht so in der deutschen Ausgabe, ich finde aber weder bei Knopf noch sonstwo in den USA einen Hinweis darauf, dass dieses Buch dort erschienen wäre])

Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte

2014, Droemer Verlag, München, 395 Seiten

**1/2

Der erste Satz
Der Morgen in Manhattan kam mit dem Poltern und Zischen eines Müllautos, das die Sünden der Nacht bereinigte.

Das Buch
Don Winslow is back. Oder wenigstens auf dem Weg dazu. Nach dem unsäglichen Action-Thriller «Vergeltung» findet der Autor des Meisterwerks «Tage der Toten» (*****) zurück zu wenigstens etwas besserem Stoff.

Mit Frank Decker lässt Winslow zum ersten Mal seine Hauptfigur aus der Ich-Perspektive erzählen. Frank Decker ist Detective bei der Polizei in Lincoln, Nebraska; die Kollegen nennen ihn Deck. Ein fünfjähriges Kind wird entführt (in Beiträgen über dieses Buch steht meistens, das Kind sei sieben gewesen – diese Autoren haben offenbar das Buch nicht gelesen und den Fehler vom Klappentext abgeschrieben). Das Kind wird nicht gefunden, Decker, der wortkarge Cop, der seine Arbeit sehr ernst nimmt, ist überzeugt, dass das Mischlingsmädchen Hailey entführt wurde und noch lebt. Doch als ein paar Tage später ein anderes Mädchen in der Stadt verschwindet und tot aufgefunden wird, gehen die Behörden davon aus, dass dieser Täter, den Decker dingfest macht, auch für die das Verschwinden von Hailey verantwortlich ist.
Decker glaubt das nicht. Er schmeisst sowohl seinen Job bei der Polizei samt den Karrierechancen wie auch seine Ehe mit einer Wirtschaftsanwältin hin und verschreibt sich der Suche nach Hailey.
Weil ein Einzelner die Freiheit hat, zu tun, was getan werden muss.
Er schuldet keinem Rechenschaft, ausser sich selbst.
Mit der Corvette Stingray Jahrgang 1974, die ihm sein Vater hinterlassen hat, fährt Deck, begleitet von den Songs von Bruce Springsteen kreuz und quer durchs weite Amerika, jagt jedem Hinweis hinterher. Doch keiner führt wirklich weiter. Erst nach mehr als einem Jahr erhält er einen vielversprechenden Tipp. Um damit weiterzukommen, muss er sich mit schwierigen Zeitgenossen herumschlagen.
Ich weiss, man soll Minderheiten nicht hassen, aber ich hasse Speed-Junkies. Tut mir leid, ich kann nicht anders. Neben einem Speed-Junkie sieht ein echter Junkie aus wie Bill Gates. Speed-Junkies haben so viel Hirnsubstanz verbrannt, dass sie für den Kongress kandidieren und gewinnen können.
Die Spur führt Deck nach New York. Zu den Reichen und Schönen, die im Sommer gerne in die Hamptons fahren. Und die natürlich alles andere als ehrbar sind.
«Missing. New York» ist eine harte Story, mit ordentlich Drive erzählt, mit vielen stimmigen Dialogen, die zum Markenzeichen von Winslows Schreibe gehören. Manchmal blitzt auch etwas von seinem lakonischen Humor auf. Doch gleichzeitig ist der Plot etwas gar simpel gestrickt, zu vieles ist absehbar, zu viele dumpfe Vorurteile werden bedient. Wenn wir mehr von Frank Decker lesen sollen, muss sich Winslow auf seine alten Qualitäten besinnen. Aber wir können uns jetzt immerhin auf die deutschen Ausgaben seiner 1990er-Serie mit Neal Carey freuen.

Der Autor
Don Winslow, * 1953 in New York City, gehört spätestens seit dem Meisterwerk «The Power of the Dog» (2005; deutsch 2010 als «Die Tage der Toten») zu den besten Autoren des Genres. Nach diesem Drogenkrieg-Epos brillierte er mit ein paar Südkalifornien-Surfer-Krimis, die auf Deutsch vor «Die Tage der Toten» erschienen sind. Nachdem seine Romane auf Deutsch bisher bei Suhrkamp erschienen sind, kommt die neue «Missing»-Serie mit Frank Decker bei Droemer heraus. Gleichzeitig kündigt aber Suhrkamp die Reihe mit dem Protagonisten Neal Carey, die im Original in den 1990er Jahren erschienen ist, an («London Undercover» im Januar 2015, «China Girl» im April 2015). Laut einem Tweet von Winslow soll in den USA als nächstes eine Fortsetzung von «The Power of the Dog» erscheinen.

Die letzten Sätze
Manche Leute verschwinden, weil sie es so wollen.
Manche gehen verloren.
Andere werden entführt.
Viele von ihnen sind tot, einige sind noch am Leben.
Aber alle brauchen sie einen, der nach ihnen sucht.
Und der bin wohl ich.


Lesung in Zürich
Don Winslow liest aus «Missing. New York», der Schauspieler Hanspeter Müller-Drossart liest die deutschen Texte, Thomas Bodmer unterhält sich mit Winslow: Dienstag, 11.11.2014, 20 Uhr, Kaufleuten, Zürich.





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