21.04.2015

Don Winslow – London Undercover

(«A Cool Breeze on the Underground», St. Martin’s Press, New York, 1991)

Aus dem Amerikanischen von Conny Lens

2015, Suhrkamp Verlag Berlin, 370 Seiten (Neuübersetzung; deutsche Erstausgabe: «Ein kalter Hauch im Untergrund», Piper, München, 1997)

****

Der erste Satz
Neal wollte nicht ans Telefon gehen.

Das Buch
Sein neu übersetzter Debütroman zeigt Don Winslow in alter Form, mit viel Witz und unbändiger Fabulierlust. Drei der fünf Romane umfassende Serie mit Neal Carey sind bereits 1997 und 1998 auf Deutsch erschienen; die jetzt mit neuen Titeln erscheinenden Neuausgaben aller fünf Bücher sind von der bewährten Conny Lens neu übersetzt worden.
Im ersten Band, der in den frühen 1970ern spielt, erlebt man, wie Neal Carey als Kid einer drogensüchtigen Mutter in New York von Joe Graham, einem Privatdetektiven im Dienst einer Privatbank in Providence, Rhode Island, die ihren begüterten Kunden gerne bei der Lösung von Problemen aller Art beisteht, unter seine Fittiche genommen und ausgebildet wird. Leuten folgen, ohne bemerkt zu werden, in Wohnungen eindringen, ohne Spuren zu hinterlassen und viele andere nützliche Sachen bringt der Mentor dem Jungen bei, der sich schliesslich seine erstrebte Hochschulausbildung durch die Arbeit für Graham und die Bank verdienen muss.
Langeweile ist der treuste Begleiter des Detektivs. Sie verlässt ihn nie lange und kehrt immer zu ihm zurück. Früher hatte Neal über Fernsehkrimis gelacht, bei denen zwölf Minuten lang Werbung lief und achtundvierzig Minuten lang Action war. Eigentlich hätten es zwölf Minuten Werbung, vierzig Minuten lähmende Monotonie, sieben Minuten und fünfzig Sekunden Papierkram und zehn Sekunden Action sein müssen, vorausgesetzt man definierte Letzteres nicht allzu streng.

Die Suche nach der abgetauchten Tochter eines US-Senators führt Carey nach London und in allerlei wilde Abenteuer. Der Politiker braucht seine Tochter, um bei der Ankündigung seiner Präsidentschaftskandidatur für die Fotografen eine heile Familie zu präsentieren. Allerdings ist die Familie alles andere als heil, und Carey widerstrebt es, dem Mann zu helfen.
Winslow zeigt schon in seinem ersten Roman sein Können: Spannender Plot, witzige Dialoge und ironische Seitenhiebe machen die Lektüre zum Vergnügen.
Bereits ist auch «Neal Careys zweiter Fall» unter dem Titel «China Girl» neu auf Deutsch erschienen; die weiteren drei Romane folgen ebenfalls noch in diesem Jahr.

Der Autor
Don Winslow, *1953 in New York City, gehört spätestens seit dem Meisterwerk «The Power of the Dog» (*****, 2005; deutsch 2010 als «Die Tage der Toten») zu den besten Autoren des Genres. Nach diesem Drogenkrieg-Epos brillierte er mit ein paar Südkalifornien-Surfer-Krimis, die auf Deutsch vor «Die Tage der Toten» erschienen sind. Sehr gut waren auch noch die Drogenkrimis «Savages – Zeit des Zorns» (2011) und «Kings of Cool» (2012, beide bei Suhrkamp). Danach ging es abwärts mit «Vergeltung» (2014, Suhrkamp) und «Missing. New York» (2014, Droemer Knaur) – beide Romane sind übrigens auf Englisch – zumindest bisher – nicht erschienen. Die Neal-Carey-Reihe erschien erstmals in den 1990er-Jahren.

Der letzte Satz

Er hatte ja seine Bücher.

14.04.2015

Ray Banks – Dead Money

(«Dead Money», Blasted Heath, Glasgow, 2011; eine erste Version des Romans erschien unter dem Titel «The Big Blind» 2004 bei Point Blank Press, Rockville MD, USA)

Aus dem Englischen von Antje Maria Greisiger

2015, Polar Verlag, Hamburg, 205 Seiten (mit einem Vorwort von Frank Göhre)


***1/2


Der erste Satz
«… Ihr Spiel, bitte …»

Das Buch
Im Spielermilieu, das er aus seiner beruflichen Tätigkeit kennt, siedelte Ray Banks diese Geschichte an. Alan Slater ist eigentlich Vertreter für Doppelglasfenster in Manchester und lebt verheiratet in einem Vorort, doch daneben lässt er sich gerne von seinem Kumpel Les Beale zum Saufen und Zocken animieren. Auch wenn er meint, das Saufen sei nicht so sein Ding:
Ich brauchte das nicht so wie Beale. Für mich gab es noch andere Dinge im Leben. Ich war besser als er. Ich besass Disziplin. Ich hatte alles Griff.
Und rückblickend war das wohl mein grösster Irrtum. Denn egal. wie sehr du meinst, du hast alles im Griff – du hast es nie. Immer liegt da irgendetwas im Schatten auf der Lauer und wartet nur darauf, dir in den Arsch zu beissen.

Eines Tages läuft eine Pokerpartie bei Beale so grob aus dem Ruder, dass Slater ihm danach helfen muss, eine Leiche zu entsorgen. Das bringt das Leben des Ich-Erzählers, der meinte, er habe es eigentlich im Griff, ziemlich durcheinander.
Ganz in der Noir-Tradition lässt Ray Banks seinen Protagonisten immer tiefer in einen Strudel von Gewalt und Verzweiflung versinken. Es braucht zwar etwas Zeit, bis die in eher derber Sprache erzählte Milieustudie so richtig Fahrt aufnimmt, doch dann geht es zügig dem bösen Ende entgegen. Ein vielversprechender Anfang, der Lust macht auch mehr von diesem Autor.

Der Autor
Ray Banks, *1977 in Kirkcaldy, Schottland, arbeitete unter anderem als Croupier in einem Casino. Seine Serie mit Privatdetektiv Cal Innes, deren erster Band «Saturday’s Child» 2006 erschien, hat in Grossbritannien Kultstatus. 2004 debütiere Banks mit dem Roman «The Big Blind», den er später stark überarbeitete und als «Dead Money» neu herausbrachte. Ray Banks lebt als Autor in Edinburgh.

Der letzte Satz

Aber es klang eher nach mir.


07.04.2015

Alan Carter – Prime Cut

(«Prime Cut», Fremantle Press, Fremantle, Western Australia, 2011)

Aus dem australischen Englisch von Sabine Schulte

2015, Edition Nautilus, Verlag Lutz Schulenburg, Hamburg, 368 Seiten


****


Der erste Satz
Etwas verändert sich, das spürt er.

Das Buch
Detective Philip «Cato» Kwong ist ziemlich frustriert. Nachdem der Vorzeige-Chinese, der es sogar auf ein Rekrutierungsplakat der Polizei von Western Australia geschafft hatte, in einen üblen Pfusch bei einem Mordfall verwickelt war, wurde er versetzt.

Viehdezernat. Das Wort flutschte ihm aus dem Mundwinkel wie der Fluch eines Feiglings. Ja, Fluch eines Feiglings fasste seine Situation ganz gut zusammen. Er war hier gelandet, weil ein Haufen Feiglinge, zu denen er früher einmal aufgeschaut hatte, ihn im Regen hatte stehen lassen. Und er konnte nichts dagegen tun, weil es diesen Kodex gab, diese Bruderschaft – oder welchen bescheuerten Namen man auch benutzen mochte, um zahllose Sünden dahinter zu verbergen.
Die Rindvieh-Abteilung war gerade on tour, mit Herz und Hirn. Die beiden anderen Mitglieder der Truppe befanden sich ehrenwerterweise auf dem Weg in den wilden Norden, während Cato Kwong und Jim Buckley sich ganz bequem in den Süden abgesetzt hatten. Eine Woche «Informationen sammeln», so sah Buckley diese Unternehmung: Flossenschütteln, Herumschnüffeln, willkürliche Kontrollen und anständige Spesen – das würde sie bis zu ihrer Rückkehr nach Perth auf Trab halten. Eine Woche an Strohhalmen kauen, Fliegen erschlagen und weise nicken, auch wenn ihm das Gesagte total am Arsch vorbeiging, das war Catos Meinung zu dieser Tour.

Doch dann taucht in der Nähe, in Hopetoun, einem Nest, das durch eine Nickelmine zur Boomstadt wurde, im Meer eine Leiche ohne Kopf auf, und Catos Ex-Chef beauftragt ihn, sich darum zu kümmern. Ein bisschen Präsenz markieren und tun, als ob man wirklich etwas täte, stellte sich der Chef vor. Doch Cato, der Abservierte, der für seinen Chef den Kopf hingehalten hat, will zeigen, dass er etwas draufhat und klemmt sich ziemlich engagiert und dem Fall. Als dann sein Partner Buckley erschlagen wird, eskaliert die Geschichte und der Chef taucht selbst mit einem ganzen Trupp an der Südküste auf. Er will schnelle Resultate, wie auch immer.
Der zugewanderte Brite Alan Carter versteht es, einen spannende Plot mit den Realitäten einer abgelegenen Region, die durch das neue Bergwerk schlagartig verändert wurde, zu einer stimmigen Geschichte zu verbinden. Es geht um krumme Geschäfte, ausgenutzte Immigranten, Rassismus und korrupte Polizisten, nebenbei aber auch um Beziehungsgeschichten, Erziehungsprobleme und Kleinstadtmief. Und das alles wird ziemlich unsentimental und durchaus zeitkritisch aber ohne plumpe Sozialkritik, dafür mit reichlich Ironie und sarkastischem Witz erzählt. Ein erfreuliches Debüt, das Lust auf die Fortsetzungen macht.

Der Autor
Alan Carter, *1959 in Sunderland, UK, studierte in England Kommunikationswissenschaften, wanderte 1991 nach Australien aus, wo er als Dokumentarfilmer beim TV tätig ist. «Prime Cut» (2011) ist sein erster Roman, inzwischen sind zwei weitere Romane mit Detective Cato Kwong erschienen. Alan Carter lebt mit seiner Frau Kath und Sohn Liam in Fremantle, Western Australia.

Der letzte Satz
Cato fragte sich, ob er sich wohl jemals wieder ans Klavier setzen würde.



02.04.2015

Adrian McKinty – Die verlorenen Schwestern

(«In the Morning I’ll Be Gone», Serpent’s Tail, London, 2014)

Aus dem Englischen von Peter Torberg

2015, Suhrkamp Verlag, Berlin, 378 Seiten


****

Der erste Satz
Am Mittwoch, den 25. September 1983, um 16 Uhr 27 schlug der Pieper an.

Das Buch
Mit dem dritten Band der Reihe um Sean Duffy, den «katholischen Polizist» in der protestantischen Polizei im Nordirland der 1980er-Jahre, bestätigt Adrian McKinty einmal mehr seine grosse Klasse. «Die verlorenen Schwestern» ist etwas verspielter und auch ein bisschen weniger realistisch als der gnadenlos gute Vorgänger «Die Sirenen von Belfast»
(****1/2), der einer der allerbesten auf Deutsch erschienenen Krimis im Jahr 2014 war. Duffy ist, nachdem er sich in der (wahren) DeLorean-Affäre mit dem FBI angelegt hatte (fiktiv; in «Die Sirenen von Belfast»), suspendiert. Doch der britische Geheimdienst MI5 lässt ihn in den Dienst zurückkehren, was ihn bei allen Problemen mit den Chefs halt doch ein bisschen freut:
«Ich mag diesen Job. Dinge herausfinden. Die Ordnung wiederherstellen. Die Welt zurechtrücken.»

Duffy soll Dermot McCann, einen aus dem Gefängnis ausgebrochenen und in Libyen geschulten Top-Bombenbauer der IRA finden – Duffy war mit ihm zur Schule gegangen und war sein Stellvertreter als Klassensprecher. Natürlich mauern McCanns Familie und Bekannte. Doch die Ex-Schwiegermutter, die nicht sehr gut auf ihn zu sprechen ist, verspricht Hilfe, wenn Duffy den Tod ihrer jüngsten Tochter aufklären würde, der von der Polizei als Unfall abgehakt worden ist. Die Tochter wurde in einem von innen verschlossenen Raum tot aufgefunden, es handelt sich also um ein klassisches «locked room mistery», und McKinty spielt witzig mit diesem Subgenre des frühen Detektivromans. McKinty, dessen Duffy-Romane immer einen sehr realistischen Eindruck machten, verlässt diesen sicheren Boden hier auch im dramatischen Finale ein bisschen.
Auch wenn der neue Roman nicht ganz die Brisanz des letzten hat, ist er ein starkes Stück. Und wie immer liest man nicht nur die meist sehr sarkastischen politischen Aussagen gerne, sondern auch die beiläufigen Betrachtungen und Bemerkungen zum Leben an sich und zur Kultur jener Zeit:
Bevor ich den Schlüssel in die Zündung steckte, stieg ich wieder aus und suchte unterm Wagen nach Bomben mit Quecksilberzünder. Es gab keine, also stieg ich wieder ein und schob eine Kassette in den Recorder, Robert Plants «The Principle of Moments». Ich hörte mir Plants Soloalbum zum vierten Mal an, und noch immer brachte ich es nicht über mich, es zu mögen. Nur Synthesizer, Drum Machine und hohe Stimmen. Aber so waren die Zeichen der Zeit, und nun, da der Herbst angebrochen war, konnte man mit ziemlicher Bestimmtheit festhalten, dass 1983 wohl das schlimmste Jahr in der Geschichte der Popmusik der letzten zwei Jahrzehnte werden würde.

Der Autor
Adrian McKinty, *1968 in Belfast, zog nach einem Philosophie-Studium an der Oxford University nach New York, wo er unter anderem als Wachmann, Vertreter, Rugbytrainer, Buchhändler, Postbote und Journalist arbeitete. 2000 zog der nach Denver. 2003 debütierte er mit dem ersten Band der starken «Dead»-Trilogie (****; «Der sichere Tod», Suhrkamp, 2010; Original: «Dead I Well May Be», 2003) um den jungen Iren Michael Forsythe, der in die irische Gangsterszene in den USA eintaucht. 2013 erschien der erste Band der Sean-Duffy-Reihe auf Deutsch («Der katholische Bulle», ****, Suhrkamp, 2013; Original: «The Cold Cold Ground», 2012). McKinty zog 2008 nach Melbourne; heute lebt er mit seiner Familie im australischen St Kilda.

Der letzte Satz
Ich klappte meinen Mantelkragen hoch und ging zu meinem Wagen, machte mich bereit für den kommenden langen, langen Krieg …