19.11.2014

Blake Crouch – Die Wayward-Pines-Trilogie: Psychose (1) – Wayward (2) – Die letzte Stadt (3)


(«Pines», Thomas & Mercer, Las Vegas, 2012)

Aus dem Amerikanischen von Kerstin Fricke


2013, AmazonCrossing, Luxemburg, 320 Seiten

(«Wayward», Thomas & Mercer, Las Vegas, 2013)

Aus dem Amerikanischen von Kerstin Fricke

2014, AmazonCrossing, Luxemburg, 404 Seiten
(«The Last Town», Thomas & Mercer, Las Vegas, 2014)

Aus dem Amerikanischen von Kerstin Fricke

2014, AmazonCrossing, Luxemburg, 297 Seiten



****

Der erste Satz
1  Er erwachte auf dem Rücken.
2  Mustin hatte die Kreatur schon seit fast einer Stunde durch das Zielfernrohr beobachtet.
3  Er schlägt die Augen auf.

Die Bücher
Secret-Service-Agent Ethan Burke erwacht in Wayward Pines, Idaho. Er hatte einen Unfall, und er braucht etwas Zeit, um sich zu orientieren. Sein Vorgesetzter hat ihn in die Kleinstadt geschickt, weil Kate Hewson, seine Ex-Partnerin beim Geheimdienst und seine Ex-Geliebte, vermisst wird und hier zum letzten Mal gesehen wurde. Schnell spürt Burke, dass hier irgendetwas überhaupt nicht stimmt, die vermeintliche Kleinstadt-Idylle trügerisch ist. Die Schwester im Spital ist unheimlich. Alle Versuche, seinen Chef und seine Frau anzurufen, enden erfolglos. Der Sheriff der Stadt reagiert auf alles nur mit Ausflüchten. Und als Burke die Stadt verlassen will, stellt er fest, dass die Strasse aus der Stadt in einem Bogen wieder zurück in die Stadt führt. Also macht er sich zu Fuss durch den Wald auf. Der Marsch endet an einem unüberwindbaren Elektrozaun. Wieso sind die Menschen in Wayward Pines plötzlich eingesperrt? Oder sperrt der Zaun etwas von draussen aus? Burke will es wissen und klettert über die Felsen, die einen Grossteil der Stadt umgeben. Doch schon bald ist er zurück in der Stadt. Und ihrem Geheimnis auf der Spur.
Vor allem im ersten Band gelingt es Blake Crouch grossartig, eine surreale Atmosphäre aufzubauen und ein beklemmendes Gefühl zu evozieren. Da kommt er nahe an sein grosses Vorbild, die TV-Serie «Twin Peaks», die er als Zwölfjähriger gesehen hat, heran. Ohne dieses Meisterwerk, schreibt Crouch im Nachwort zum ersten Band der Trilogie, wäre «Wayward Pines» «nie entstanden und ich wäre möglicherweise nie Schriftsteller geworden, wenn mir meine Eltern im Frühling 1990 nicht erlaubt hätten, donnerstagabends lange aufzubleiben und eine Serie zu gucken, wie wir sie vermutlich nie wieder sehen werden».
Den Fortgang der Geschichte, die mit verschiedenen Rückblenden auch die Vorgeschichte aus verschiedenen Perspektiven vermittelt, lassen wir hier im Dunkeln, um zukünftigen Lesern nicht die Spannung und das Leservergnügen zu nehmen.
Der zweite und der dritte Band der Trilogie erreichen nicht mehr die Intensität des ersten, dies vor allem, weil wir dann das Geheimnis von Wayward Pines kennen. Die sehr raffiniert konstruierte und gekonnt erzählte Geschichte bleibt aber eindrücklich und spannend bis zum Schluss.

Der Autor
Blake Crouch, *1978 in North Carolina, studierte englische Literatur und kreatives Schreiben an der University of North Carolina in Chapel Hill. Seither hat er über 20 Bücher veröffentlicht, darunter die Andrew-Thomas-Reihe und zusammen mit Jack Kilborn die «Serial»-Reihe. Er lebt in Durango, Colorado.

Der letzte Satz
1  Es ist das Zirpen einer Grille.
2  Er atmete auf …
3  Siebzigtausend Jahre später schlug Ethan Burke die Augen auf.



Die «Wayward Pines»-Trilogie wird von Fox TV als zehnteilige Serie (je 45 Minuten) mit Matt Dillon in der Hauptrolle verfilmt, die 2015 gesendet werden soll. Der Trailer:






15.11.2014

Chris Pavone – Das Manuskript

(«The Accident», Crown, New York, 2014)

Aus dem Amerikanischen von Andrea Brandl

2014, Piper, München, 489 Seiten


***


Der erste Satz
Er schreckt aus dem Schlaf, wendet abrupt den Kopf, lässt den Blick durch den Raum wandern, über die dunkelsten Schatten im bläulichen Schein des Mondes.

Das Buch
Ein Thriller, der in der Buchbranche spielt. Eine reizvolle Idee. Und eine spannend konzipierte Geschichte. Ein anonymes Manuskript landet auf danach kaum nachvollziehbare Art auf dem Tisch einer New Yorker Literaturagentin. Der Stoff ist brisant: Die Geschichte eines mächtigen Medienmoguls, der so viel Dreck am Stecken hat, dass ihn die Veröffentlichung schwer treffen würde. Und überall lauern aus unterschiedlichsten Gründen Interessierte auf das Manuskript. Es beginnt eine tödliche Jagd auf alle, die eine Kopie davon haben.
Chris Pavone, selbst lange in der Verlagsbranche tätig gewesen, packt die Geschichte in einen Zeitraum von 24 Stunden, wobei es darin einerseits immer wieder Rückblenden, anderseits Ausschnitte aus dem Manuskript gibt. Der Plot ist eigentlich durchaus spannungsträchtig, doch mit fortschreitender Lektüre nervt zunehmend, wie Pavone mit billigen Tricks zusätzlich Spannung erzeugen will: Einerseits enthält er dem Leser Informationen vor, die seine Protagonisten haben, und anderseits baut er vor praktisch jedem Perspektiven- bzw. Szenenwechsel einen Cliffhanger ein. Es ist ein bisschen wie in einer altbackenen TV-Serie: Wenn der Mann mit der Knarre reinkommt oder wenn jemand, der sich versteckt, vor der möglichen Entdeckung steht, folgt immer ein Schnitt.
Auch die Sorgfalt von Übersetzung bzw. Lektorat lässt zu wünschen übrig. Menschen, die professionell mit der deutschen Sprache hantieren, müssten eigentlich wissen, dass es Zürcher heisst und nicht «Züricher». Und, wenn wir schon dabei sind, noch an die Adresse der für die Typografie zuständigen Person: Die Schrift, in der die Manuskript-Auszüge gesetzt sind, ist zu fein, zeichnet auf dem gewählten Papier viel zu wenig und ist daher schlecht lesbar.

Der Autor
Chris Pavone, *1968, wuchs in New York City auf, wo er auch heute noch – mit seiner Frau und Zwillingssöhnen – lebt. Er arbeitete in der Verlagsbranche, vor allem als Redaktor für Kochbücher. Für seinen ersten Roman «The Expats» (2012; «Die Frau, die niemand kannte») wurde er sowohl mit dem Edgar wie mit dem Anthony Award für den besten Erstling ausgezeichnet.

Der letzte Satz

Und dann fangen wir noch einmal von vorn an.




04.11.2014

James Lee Burke – Regengötter

(«Rain Gods», Simon & Schuster, New York, 2009)

Aus dem Amerikanischen von Daniel Müller

2014, Wilhelm Heyne Verlag (Heyne Hardcore), München, 672 Seiten


*****


Der erste Satz
Am Ende eines brennend heissen Julitages im Südwesten von Texas, in einer kleinen Gemeinde, deren einzige wirtschaftliche Bedeutung in einer zwanzig Jahre zuvor von der Umwelt- schutzbehörde EPA geschlossenen Fabrik für Schädlingsbekämpfungsmittel bestanden hatte, hielt ein junger Mann in einem Wagen ohne Frontscheibe an einer verlassenen blau-weiss gestrichenen Tankstelle, die zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise Benzin von Pure Oil verkauft hatte und nun zahlreichen Fledermäusen und Bündeln von Steppenläufern Unterschlupf bot.

Das Buch
Endlich nimmt sich wieder ein deutschsprachiger Verlag dem Werk von James Lee Burke an. Burke, inzwischen 78-jährig, zählt mit seiner 1987 gestarteten Serie um den Cajun-Cop Dave Robicheaux zu den allerbesten Autoren des Genres. Auf die noch nicht übersetzten Robicheaux-Romane müssen wir offenbar weiterhin warten (oder sie auf Englisch lesen). Hauptfigur von «Regengötter» ist der über 70-jährige Sheriff Hackberry Holland, ein Cousin von Billy Bob Holland, einem anderen Burke-Protagonisten, der in einem gottverlassenen Kaff im Südwesten von Texas zum Rechten schaut.
Sozusagen auf Breitleinwand – bzw. auf über 600 Seiten – erzählt Burke auf seine faszinierende Art und Weise eine bitterböse Geschichte aus den Badlands nahe der mexikanischen Grenze, den Soundtrack dazu liefert die junge Vikki Gaddis, die in Kneipen kellnert und dazwischen mit ihrer Gibson-J200-Akustikgitarre und ihrer wunderschönen Stimme die alten Songs der Carter Family darbietet. Vikki ist zusammen mit dem traumatisierten Irak-Heimkehrer Pete Flores, und der wurde Zeuge von der Ermordung neun asiatischer Frauen. Sheriff Hackberry gräbt die Leichen, die mit einem Bulldozer hinter einer ehemaligen Kirche knapp unter die Erde gebracht worden sind, aus.
Das ist die Ausgangslage einer breit – und tief – angelegten, aber immer auch packenden Geschichte, die wie andere Burke-Romane einen eigentümlichen Sog entwickelt, dem man sich nicht entziehen kann. Das Personal besteht aus lauter geplagten und gestörten Seelen. Die Guten sind hier nicht einfach gut, die Bösen nicht nur böse. Sheriff Holland ist ein aufrechter Mann im Dienste der Gerechtigkeit. Dem Werben seines Deputys Pam Tibbs will er nicht nachgeben, weil er befürchtet, sie zu missbrauchen. Ihn plagen bis heute Alpträume von seiner Kriegsgefangenschaft in Korea in den 1950ern, und er fühlt sich schuldig für seine früheren Jahre voller Sauferei, Korruption und Hurerei. Seine Gegenspieler sind nicht nur der völlig durchgeknallte, ständig die Bibel zitierende psychopathische Killer Jack Collins, genannt Preacher, und skrupellose Drogen- und Menschenhändler, sondern auch die Agenten staatlicher Behörden wie ICE (Immigration and Customs Enforcement, eine Polizei- und Zollbehörde des Ministeriums für Innere Sicherheit, die nach 9/11 gebildet wurde) und FBI, die ihre eigenen Interessen verfolgen, für die sie auch unschuldige Beteiligte zu opfern bereit sind. Was Holland aber zu verhindern sucht, ob er sich dabei an den Buchstaben des Gesetzes hält oder nicht.
Ausschweifende Beschreibungen, die bei anderen Autoren schnell einmal langatmig wirken, fesseln einen bei Burke, man ertappt sich gar immer mal wieder dabei, dass man nach einem Absatz wieder zurück geht und ihn gleich nochmals liest, wofür auch dem Übersetzer Daniel Müller ein grosses Lob gebührt. Etwa wenn Preacher, seinen Fuss, in den Vikki Gaddis geschossen hat, im Gips, wartend in einer Kneipe sitzt:

In der Ecke das Saloons sorgte ein Stand-ventilator für einen Luftzug, der seinen Hosensaum flattern liess und die Haut am Rand seines Gipses kühlte. Er sass an einem Tisch vor einer weissen Tasse mit schwarzem Kaffee, von wo aus der lang gezogene, güterwaggon-ähnliche Raum wie eine Studie wirkte, wie die Reise eines Menschen vom Schoss seiner Mutter bis hin zu seinem letzten Tag auf Erden. Die Lichtstrahlen der frühen Sonne brannten auf die Saloonfenster mit der gleichen Intensität herunter, mit der die elektrischen Lampen im Kreisssaal die Neugeborenen blendeten. Der Saloon war einmal ein Tanzsaal gewesen, und auf dem Boden konnte man noch das alte Schachbrettmuster sehen. Hunderte, wenn nicht sogar Tausende waren schon darüber hinweggeschritten. Menschen, die nicht innehielten, um auf ihre Füsse hinabzuschauen, und dadurch auch das sich ständig wiederholende Muster in ihrem Leben nicht erkannten.

Aus grandiosen Schilderungen von Landschaften, Lokalitäten und Wettersituationen, wie man sie auch aus den Robicheaux-Romanen kennt und liebt, aus Mystischem und Mythischem aus der Südstaaten-Welt, tiefgründigen Reflexionen, historischen und moralischen Betrachtungen, trockenem Humor aber auch immer wieder knallharter Action entwirft James Lee Burke ein authentisches Sittenbild, das Seite für Seite so packend und faszinierend ist, dass einen die Geschichte nicht mehr loslässt und man das Buch trotz des beträchtlichen Umfangs kaum einmal auf die Seite legen will. Ein Meisterwerk.

Der Autor
James Lee Burke, *1936 in Houston, Texas, publizierte in den 1960er Jahren seine ersten Bücher, die von der Kritik gelobt wurden. Doch für sein viertes Buch, «The Lost Get-Back», bekam er nur Absagen (nachdem es 1986 doch noch erschien, wurde es für den Pulitzer-Preis nominiert), und es dauerte 13 Jahre, bis er sein nächstes Buch veröffentlichen konnte. 1987 startete er mit «The Neon Rain» («Neonregen») die Serie mit Dave Robicheaux, am Anfang noch bei der Polizei in New Orleans, später Mitarbeiter des Sheriffs in der Kleinstadt New Iberia am Bayou Teche in Louisiana, die zu den besten Krimi-Reihen überhaupt zählt. Die Reihe umfasst inzwischen 20 Romane, der letzte erschien 2013, nur 11 davon sind leider auf Deutsch erschienen (zuerst bei Ullstein, später bei Goldmann). Zudem sind auf Deutsch drei der vier Romane um Hackberry Hollands Cousin Billy Bob Holland erschienen. Hackberry Holland kam erstmals 1971 in einem Roman vor, nach «Rain Gods» (2009) folgte der Hackberry-Roman «Feast Day of Fools» (2011). Burkes Werk ist vielfach preisgekrönt, zweimal wurde er mit dem renommierten Edgar Allan Poe Award ausge- zeichnet. Burke lebt mit seiner Frau Pearl in Lolo, Montana und New Iberia, Louisiana; sie haben vier erwachsene Kinder, Tochter Alafair Burke schreibt auch Kriminalromane.

Der letzte Satz
Zumindest waren das die Lehren, die Hackberry Holland und Pam Tibbs aus ihren Erlebnissen zogen.



03.11.2014

Deon Meyer – Cobra

(«Kobra», Human & Rousseau, Cape Town, 2013)

Aus dem Afrikaans von Stefanie Schäfer

2014, Rütten & Leoning, Berlin, 440 Seiten

***1/2


Der erste Satz
Der Regen prasselte auf das Wellblechdach.

Das Buch
Benny Griessel, Ermittler bei der Polizei-Einheit «Valke» in Kapstadt, bleibt trocken im vierten Roman, in der er die Hauptperson ist. Nur haarscharf entgeht er aber dem Absturz. Er ist kürzlich mit der Sängerin Alexa zusammen- gezogen, auch sie trockene Alkoholikerin, obwohl in sein AA-Mentor davor gewarnt hat. Und selbst findet er das jetzt auch einen «Riesenfehler». Und beruflich ist er wieder einmal voll gefordert. Ausländische Profikiller haben auf einem Weingut Bodyguards erschossen und den Mann, denn diese beschützen sollten, offenbar entführt. Bald stellt sich heraus, dass der Entführte mit falschen Papieren reiste und sowohl ein britischer wie ein südafrikanischer Geheimdienst mehr wissen und die Polizei aus dem Fall drängen wollen. Doch Griessel und seine engsten Mitstreiter, die kleine, dicke Mbali Kaleni und der modische, überempfindliche Vaughn Cupido – «ein Trampel, ein Windhund und ein Säufer», wie der Chef das Trio sieht –, bleiben dran. Der entführte Brite ist Mathematikprofessor und hat einen Algorithmus geschrieben, mit dem Geldströme in der Bankenwelt überwacht werden können, um Terroristen und andere Verbrecher aufzuspüren. Doch offenbar sind auch manche Politiker und Regierungen davon nicht so begeistert.
Die interessanteste Figur in «Cobra» ist der blutjunge Taschendieb Tyrone Kleinbooi, der zufällig das Portemonnaie klaut, in dem das steckt, was die Killer suchen. So gerät er ins Fadenkreuz versierter Profis und muss versuchen, diese auszutricksen, um sich und seine Schwester zu retten. 
Meyer erzählt wie gewohnt spannend und mit vielen Einblicken in das Südafrika nach der Apartheid und dem Bürgerkrieg. «Cobra» mag nicht sein bestes Buch sein, lesenswert ist es aber allemal noch.

Der Autor
Deon Meyer, *1958 in Paarl, Südafrika, war unter anderem Reporter, Werbetexter und Creative Director. Sein erster Roman erschien 1994. Anders als viele südafrikanische Autoren schreibt er nicht auf Englisch sondern in seiner Muttersprache Afrikaans; die Dialoge können aber auch auf Englisch, Xhosa und Zulu sein – Meyer gibt sie so wieder, wie sie im vielsprachigen Südafrika stattfinden. Neben vier Krimis mit Benny Griessel als Hauptfigur – er kommt schon in anderen Büchern am Rande vor – sind fünf weitere Thriller von Meyer auf Deutsch erschienen. Meyer lebt in Stellenbosch

Der letzte Satz

Und dann hörte er sie lachen.