26.04.2016

Christian Roux – Der Mann mit der Bombe

(«L’homme à la bombe», 2012, Rivages/Noir, Editions Payot & Rivages, Paris)

Aus dem Französischen von Cornelia Wend

2016, Polar Verlag, Hamburg, 151 Seiten

***1/2




Der erste Satz
Natürlich hatte Larry die Bombe nicht von Anfang an.

Das Buch
Larry hat eine gute Ausbildung, aber keinen Job mehr. Sich immer wieder vorzustellen für irgendwelche Jobs, für die er überqualifiziert ist und sie ohnehin nicht bekommt, auch weil er Schwarz ist, zermürbt ihn, belastet das Verhältnis zu seiner Frau und der kleinen Tochter.

Was war das bloss für ein Leben, das einem keine Antworten auf die Fragen lieferte, die man sich stellte?

Dann baut Larry eine Bombe. Eigentlich ist es keine echte Bombe, aber sie macht den Leuten Angst. Als er damit eine Bank überfallen will, kommt er einer Bande ins Gehege, die es auf die gleiche Bank abgesehen hat. Mit der jungen Frau aus der Bande, die er als Geisel für seine Flucht nimmt, zieht er dann durch ein Land, das ziemlich heruntergekommen wirkt. Das Duo überfällt Postämter. Der eigentlich nicht gewalttätige Larry gerät damit in eine Spirale der Gewalt.

Man kämpft nicht gegen das Gesetz. Man achtet das Gesetz oder man hat das Gesetz gegen sich. Das sind die beiden Alternativen. Und wenn man das Gesetz gegen sich hat, dann hat man die gesamte Gesellschaft an den Hacken.

Wie in einem Sog geht es unausweichlich abwärts. Es ist eine tiefschwarze Geschichte, die der Franzose Christian Roux eindrücklich und intensiv erzählt. Die amerikanischen Noir-Klassiker Jim Thompson und David Goodis standen dabei Pate, wie aus einer Nachbemerkung hervorgeht. Die Stimmung des Romans erinnerte mich denn auch stark an den Film «Série noire», in dem der Filmemacher Alain Corneau 1979 den Thompson-Roman «Hell of a Woman» aus dem Amerika der 1950er ins moderne Frankreich verlegte: beklemmend und hoffnungslos.

Der Autor
Christian Roux, *1958 in Chatou, einem Vorort von Paris, ist Schriftsteller und Musiker. Er hat eine Ausbildung als Pianist und hat mit seiner Band Vern 1997 ein Album veröffentlicht, 2007 und 2010 unter seinem eigenen Namen zwei weitere. Seit 2002 hat er zwölf Romane publiziert. «Der Mann mit der Bombe» ist der erste, der auf Deutsch erschienen ist. Roux lebt im Dorf Civry-la-Forêt unweit seines Geburtsorts.

Der letzte Satz

Gegen alles.

06.04.2016

Donald E. Westlake – Fünf schräge Vögel

(«The Hot Rock», Simon & Schuster, New York, 1970)

Aus dem Amerikanischen neu übersetzt von Tim Jung
(eine erste deutsche Version erschien 1971 in gekürzter Form unter dem Titel «Finger weg von heissem Eis»)

2016, Atrium Verlag, Zürich, 271 Seiten


***1/2


Der erste Satz
Dortmunder putzte sich die Nase.

Das Buch
Auf dem wertvollen Smaragd, den John Dortmunder und seine vier Kumpel im Auftrag einer afrikanischen Regierung klauen sollen, scheint eine Art Fluch zu liegen. Trotz bester Planung und fast perfekter Durchführung des Coups, steht die Bande am Ende ohne den Stein da. Und muss nochmals ran. Und nochmals. Und …
Es ist eine ziemlich lustige und kurzweilige Geschichte, die Meisterautor Donald E. Westlake da – offenbar nach mehreren Anläufen, wie aus seiner Vorbemerkung hervorgeht – Ende der 1960er zusammengebaut hat. Sie war dann der Auftakt einer am Ende insgesamt 14 Romane (und 11 Kurzgeschichten) umfassenden Reihe mit dem Ganoven John Dortmunder als Hauptfigur. Zumindest im ersten Roman kann man die Figur allerdings nicht so ernst nehmen wie Parker, den kriminellen Held einer Reihe, die Westlake als Richard Stark publizierte. Aber es ist allemal höchst verdienstvoll vom Atrium Verlag, diesen Titel ausgegraben zu haben, dem hoffentlich die weiteren Dortmunder-Romane folgen werden.
Ihren deutschen Titel hat die Neuübersetzung dieses Romans übrigens vom deutschen Titel der Verfilmung aus dem Jahr 1972: «Vier schräge Vögel» (Regie: Peter Yates; mit Robert Redford, George Segal) – im Drehbuch wurde einer der fünf Ganoven weggelassen.

Der Autor
Donald E(dwin) Westlake, *1933 in Brooklyn, † 2008 in San Tancho, Mexiko, zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Hardboiled-Autoren; er schrieb – unter seinem wirklichen Namen und unter verschiedenen Pseudonymen – über 100 Romane und ist vielfach preisgekrönt. Seine bekannteste Serie um den Gangster Parker veröffentlichte er als Richard Stark. 

Der letzte Satz
«Sehr schön», sagte Dortmunder.


05.04.2016

Ryan Gattis – In den Strassen die Wut

(«All Involved», HarperCollins Publishers, New York, 2015)

Aus dem Englischen von Ingo Herzke

2016, Rowohlt Polaris, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 526 Seiten


****

Der erste Satz
Ich bin in Lynwood, South Central, irgendwo Nähe Atlantic Avenue und Olanda Street, decke Tabletts voll ungegessener Bohnen mit Alufolie ab, irgendein Kindergeburtstag, und da kriege ich gesagt, ich soll früh Feierabend machen und morgen wohl gar nicht zur Arbeit kommen.

Das Buch
Ernesto ist der erste von insgesamt 17 Ich-Erzählern, die in Ryan Gattis’ furiosem Thriller «In den Strassen die Wut» von ihren Erlebnissen in den sechs Tagen im Jahr 1992, in welchen weite Teile von Los Angeles zu einem Bürgerkriegsschauplatz wurden, erzählen. Die Erzähler sind mehrheitlich Mitglieder von Latino-Gangs, aber auch eine Krankenschwester, ein Feuerwehrmann, ein Graffiti-Sprayer, der anonyme Leiter eines Sondereinsatzkommandos und andere. Teils werden die gleichen Ereignisse so aus verschiedenen Sichtweisen dargestellt, teils streifen oder kreuzen sich die Geschichten nur, aber alle hängen irgendwie mit anderen zusammen und tragen etwas zum gesamten Bild bei.
Der brave Ernesto wird auf dem Heimweg von der Arbeit von einer Latino-Gang, mit der sich sein schlimmer Bruder angelegt hat, angegriffen und getötet. Seine Schwester schwört Rache, und die Umstände stehen gut dafür.
Es sind die Tage nach dem Rodney-King-Urteil (Polizisten, die den Schwarzen Rodney King misshandelt hatten, wurden freigesprochen), das zu gewalttätigen Protesten führte, die als die «grössten Rassenunruhen» in Los Angeles in die Geschichte eingingen. Die Polizei konnte trotz Unterstützung der Nationalgarde nur an den wenigsten Brennpunkten eingreifen, und dies benutzten viele, denen es nicht um den Protest gegen eine rassistische Justiz und Polizei ging, um weitgehend unbehelligt ihr eigenes Unwesen zu treiben. Plündern. Offene Rechnungen begleichen. So zum Beispiel die Latino-Gangs. In Gattis’ Roman wird dies Gang-Boss Big Fate angesichts der TV-Bilder schnell klar:

Und diese ganzen Bilder sagen mir das Gleiche wie allen anderen Idioten in dieser ganzen Stadt, die je einen bösen Gedanken im Kopf hatten: Verdammt, jetzt ist dein Tag, Homie. Felicidades, du hast im Lotto gewonnen
Geh raus und spiel verrückt, sagen die Bilder. Nimm dir, was du kriegen kannst, sagen sie. Wenn du böse und stark genug bist, dann komm raus und nimm es dir.
(…) Marken haben nichts zu sagen. Denn heute gehört die Stadt nicht den Cops. Heute gehört sie uns.

Und so ziehen sie dann los in die Schlacht.
Gattis’ Geschichte mag zwar fiktiv sein, sie ist aber höchst realistisch: Sie beruht auf umfangreichen Recherchen bis ins Gang-Milieu. Jeder Ich-Erzähler hat seinen ganz eigenen Ton, und aus diesen Fragmenten entsteht ein monströses Panoptikum der Gewalt. Bis auf zwei, drei kleinere Längen vermag der über 500 Seiten fette Wälzer durchgehend zu packen. Ein eindrückliches Werk.

Der Autor
Ryan Gattis, *ca. 1978 in Illinois, aufgewachsen in Colorado, studierte Creative Writing an der Chapman University in Kalifornien und an der East Anglia University in Norwich, England. Er veröffentlichte seit 2004 mehrere Romane, die nicht auf Deutsch erschienen sind, lebte in Kalifornien, England, Australien und Japan, lehrte während fast zehn Jahren Creative Writing an der Chapman University. «All Involved» ist sein erstes Buch, das international erfolgreich ist; HBO kaufte die Rechte, um daraus eine TV-Serie zu machen. Gattis lebt mit seiner Frau in Los Angeles, wo er der Street-Art-Gruppe UGLAR Works angehört und Gründungsmitglied von 1888, einer kalifornischen Organisation, die sich für das kulturelle Erbe engagiert, ist.

Der letzte Satz
Er wird immer weiterlaufen, egal was passiert, und er wird sich durch diese Flammen kämpfen und auf der anderen Seite herauskommen, ganz kaputt und schön und neu.