25.02.2015

Mike Nicol – Bad Cop

(«Of Cops and Robbers», Umuzi/Random House Struik, Kapstadt, 2013)

Aus dem südafrikanischen Englisch von Mechthild Barth

2015, btb Verlag/Random House, München, 543 Seiten


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Der erste Satz
In einem babykackegelben Ford Granada fahren sie die Strasse entlang.

Das Buch
Eigentlich möchte es sich Fish Pescado – mit Vorname heisst er wirklich Bartolomeu, so nennt ihn aber nur seine Mutter – einfach ein bisschen gut gehen lassen. Der Privatdetektiv in Kapstadt möchte ein bisschen surfen, Zeit mit seiner Freundin Vicki verbringen, gut essen, dann und wann ein Tütchen rauchen. Doch plötzlich wollen alle etwas von ihm, an allen Ecken und Enden läuft etwas nicht so, wie es sollte. Sowohl Vicki wie sein Surfer-Kumpel Daro sind in irgendwelche üblen Geschichten verstrickt.
Mike Nicol macht mit seinem ersten Thriller nach der eindrücklichen «Rache-Trilogie» dort weiter, wo er aufgehört hat. In seiner beinharten, oft fast dokumentarisch wirkenden Erzählweise bringt er uns ein Südafrika näher, in dem – ähnlich wie bei seinen Kollegen Deon Meyer und Roger Smith – Gewalt und Korruption regieren. Jeder hat eine Leiche, wenn nicht einen ganzen Leichenberg, im Keller. Wie in seinen vorherigen Romanen legt Nicol verschiedene Erzählstränge aus, wobei einer davon weit zurück geht und eine Todesschwadron zu Apartheid-Zeiten begleitet, die sich dann nach ein paar hundert Seiten mehr und mehr verbinden. «Bad Cop» ist keine leichte Kost. Schnell, blutig, spannend. Eine rabenschwarze Geschichte, aus der nur wenige einigermassen heil herauskommen.

Der Autor
Mike Nicol, *1951 in Kapstadt, studierte in Johannesburg und arbeitete als Journalist.  Als Schriftsteller veröffentlichte er 1978 einen Gedichtband, es folgten mehrere Romane und Sachbücher, darunter etwa «A Good-Looking Corpse, The World of Drum – jazz and gangsters, hope and defiance in the townships of South Africa» (1991) und die autorisierte Biografie «Nelson Mandela: the Authorised Portrait» (2006; deutsch: «Mandela: Das Porträt»). In den 1990er-Jahren erschienen drei Romane von Nicol, keine Krimis, bei Rowohlt auf Deutsch. Als Krimiautor machte er seit 2008 mit der virtuosen «Rache-Trilogie» («Payback», «Killer Country», «Black Heart»; alle drei unter diesen Titeln auch auf Deutsch) von sich reden. Mike Nicol lebt in Kapstadt, wo er an der Universität auch kreatives Schreiben unterrichtet.

Der letzte Satz
«Das wissen wir nicht.»


19.02.2015

Richard Stark – The Hunter

(«The Hunter», Permabooks, New York, 1962; später auch als «Point Blank» und «Payback» erschienen)

Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl

2015, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 191 Seiten (Neuübersetzung; deutsche Erstausgabe: 1968 als «Jetzt sind wir quitt», Deutsch von Brigitte Fock, bei Ullstein, Neuauflage der gleichen Übersetzung 1999 als «Payback»)


*****

Der erste Satz
Als ein junger Kerl mit gesunder Gesichtsfarbe in einem Chevy ihm eine Mitfahrgelegenheit anbot, sagte Parker ihm, er solle sich verpissen.

Das Buch
Parker ist kein netter Mensch. Das macht schon der erste Satz klar. Trotzdem fasziniert er uns, wir verfolgen gebannt seine Abenteuer und leiden sogar ein bisschen mit ihm, wenn wieder einmal alles gegen ihn läuft.
Parker, kein Vorname, wahrscheinlich heisst er eh nicht so, ist ein Krimineller. Ein Dieb, ein Räuber. Nicht etwa ein charmanter Gentleman-Einbrecher. Wenn ihm jemand im Weg steht, wird er mit roher, auch finaler Gewalt weggeräumt.
Parker ist der «Nicht-Held» in 24 Romanen, die Donald E. Westlake als Richard Stark zwischen 1962 und 2008 geschrieben hat (siehe unten: Der Autor). Die Parker-Serie ist – zusammen mit der Wyatt-Reihe des Australiers Garry Disher – die beste Reihe mit einem Kriminellen als Hauptfigur in der Kriminalliteratur. 
Parker beschafft sich mit zwei, drei Coups pro Jahr mit wechselnden Kollegen das Geld, um ein angenehmes Leben zu führen. Nicht immer sind die Kumpel so zuverlässig, wie sie sein sollten, und es kommt auch immer wieder zu üblem Verrat. So auch in «The Hunter», wo Parker Jagd auf Mal macht. Der ist nach einem spektakulären Ding mit der ganzen Beute abgehauen und meinte, Parker tot zurückgelassen zu haben. Geholfen hat ihm dabei Parkers Freundin. Nachdem Parker aus dem Knast, wo er zwischenzeitlich wegen Landstreicherei sass, ausgebrochen ist, treibt er seine nunmehr Ex in New York auf.

Er hasste sie. Er hasste sie, und er liebte sie, und weder das eine noch das andere hatte er je für jemanden empfunden. Niemals Liebe, niemals Hass, für niemanden. Mal, klar, Mal würde er umbringen, aber das hatte nichts mit Hass zu tun. Da gab es eine Rechnung zu begleichen, ein Konto abzuschliessen. Da gab es Wut, da gab es Zorn und Stolz, aber mit Hass hatte das nichts zu tun.

Parker ist ein einsamer Jäger, der nicht viel Emotionen zeigt, der sich aber kompromisslos durchzusetzen weiss. Er schreckt dabei auch nicht vor der Mafia zurück, der Mal das Geld übergeben hatte, um eine alte Schuld zu begleichen. Parker will sein Geld, und basta.
«The Hunter», jetzt in neuer Übersetzung neu aufgelegt, ist der erste Parker-Roman. Ein Paukenschlag. 1962! Schnörkellos und beinhart ist die Geschichte erzählt, direkt, ohne Umwege, keine 200 Seiten lang. Etwas gewalttätiger noch als die späten Parker-Romane. Dass uns dabei so fesselt, was Parker tut und was mit ihm geschieht, zeigt, was für ein grossartiger Autor Westlake war. Es gelingt ihm, wie allen guten Krimis, nicht nur eine spannende Geschichte zu erzählen, sondern auch einen tiefen Einblick in das Innere einer faszinierenden Figur zu geben.
Ein Meisterwerk. Ein Meilenstein in der Geschichte der Kriminalliteratur.


Der Autor
Richard Stark ist eines der vielen Pseudonyme von Donald E. Westlake (*1933 in New York, † 2008 in San Tancho, Mexico). Auch wenn er im deutschsprachigen Raum weniger bekannt ist als in den USA und etwa auch in Frankreich, zählt Westlake zu den bedeutendsten Hardboiled-Autoren; er schrieb über 100 Romane und ist vielfach preisgekrönt. Der Gangster Parker ist seine bekannteste Figur – er ist weder Held noch Antiheld; er wurde schon als «Non-hero» bezeichnet. Nach «The Hunter» (1967 von John Boorman mit Lee Marvin als «Point Blank» erfolgreich verfilmt) schrieb Westlake bis 1974 15 weitere Parker-Romane. Nach einer langen Pause gab Parker 1997 ein «Comeback», so der Originalitel des ersten Romans der späten Parker-Serie, und es folgten 7 weitere Titel, bis Westlake an Silvester 2008 im Urlaub in Mexiko einem Herzinfarkt erlag. Die 8 neuen Parker-Romane sind seit 2009 vom Paul Zsolnay Verlag auf Deutsch herausgebracht worden – sehr empfehlenswert! Die meisten Titel der frühen Parker-Serie sind in den 1960er- und 1970er-Jahren bei Ullstein erschienen.

Der letzte Satz
Vielleicht würde er aber auch auf die Keys gehen.


12.02.2015

William McIlvanney – Die Suche nach Tony Veitch

(«The Papers of Tony Veitch», Hodder and Stoughton, London, 1983)

Aus dem Englischen von Conny Lösch

2015, Verlag Antje Kunstmann, München, 317 Seiten


****1/2


Der erste Satz
Freitagnacht, Glasgow.

Das Buch
Jack Laidlaw ist wieder unterwegs in den Strassen von Glasgow. Sechs Jahre hatte sich William McIlvanney Zeit gelassen für die Fortsetzung von «Laidlaw»; erst 1983 (und nicht 1977, wie im Impressum der deutschen Ausgabe steht) erschien die jetzt erstmals auf Deutsch vorliegende Fortsetzung. Und die ist noch stärker, noch düsterer als der erste Band.

Hat man erst einmal verstanden, in was für einer Welt wir leben, muss man sich auch den Dingen stellen, die man lieber nicht sehen möchte.

McIlvaneys Stil und Erzählweise wirken sehr modern, dass man sich in den frühen 1980er-Jahren befindet, zeigt sich nur in gewissen Details, etwa weil es noch Studenten gibt, die sich als Marxisten bezeichnen, weil Münztelefone statt Smartphones benutzt werden und weil Musik von Vinylplatten kommt.
Laidlaw stochert in einem verworrenen Fall mit mehreren Toten, mischt lokale Gangster auf und steht auch Kotzbrocken aus der besseren Gesellschaft auf die Zehen, immer auf der Suche nach Gerechtigkeit. Sein junger Kollege  charakterisiert ihn einmal so:

Laidlaw wirkte oft hart, konnte ein Arschloch sein. Manchmal hatte man den Eindruck, er wolle Gott, sollte er ihm begegnen, erst mal einem Lügendetektortest unterziehen. Aber er machte sich so unübersehbar etwas aus den Menschen, war so unverkennbar verletzt durch das, was ihnen widerfuhr, manchmal sogar durch sein eigenes Tun, dass es zum Steinerweichen war.

Unerschrocken geht Laidlaw seinen Weg, hart auch gegenüber sich selbst und mit einem illusionslosen Blick auf die Realitäten des Lebens:

Rechtschaffenheit ist ein scheinheiliges Miststück, dachte Laidlaw. Sie würde noch die Pullover ihrer schlotternden Kinder auftrennen, um aus der Wolle öffentlich Handschuhe für einen guten Zweck zu stricken.

Bei solchen Sätzen freut man sich schon auf den dritten Laidlaw-Band, der im Herbst auf Deutsch erscheinen wird.

Der Autor
William McIlvanney, *1936 in Kilmarnock, Schottland, war bis 1975 als Englischlehrer tätig. 1966 veröffentlichte er sein erstes Buch, «Remedy is None». Seiter erschienen mehr als ein Dutzend Bücher von ihm, für die er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Er veröffentlichte auch Gedichte und Sachbücher. Mit der Laidlaw-Trilogie (Laidlaw», 1977; «The Papers of Tony Veitch, 1983; «Strange Loyalities»,1991) gilt McIlvanney als Pionier des «Tartan Noir», des modernen, schottischen hardboiled Krimis (der dritte Laidlaw-Titel ist beim Verlag Antje Kunstmann  für Herbst angekündigt unter dem Titel «Falsche Treue»). «Ohne McIlvanney wäre ich wohl kein Krimiautor geworden», sagt Ian Rankin, heute wohl der bekannteste schottische Kriminalschriftsteller.

Der letzte Satz
Während Gus sie beobachte, wie sie gesetzt über den Bürgersteig schwangen, dachte er betrunken, dass er etwas Wunderbares sah, einen Geist so voller Lebensfreude, dass sogar das Schlangenstehen dadurch eine eigene Ästhetik bekam.


09.02.2015

Max Annas – Die Farm

2014, Diaphanes, Zürich-Berlin, 188 Seiten


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Der erste Satz
24. August, 17.32 h
«Ich bin ja kein Rassist», sagte Franz Muller, machte eine Pause und schaute auf das Loch in seinem Zaun.

Das Buch
Um 17.32 Uhr beginnt das Buch, nachts um 2.49 Uhr endet es. Die wenigen Stunden dazwischen erleben wir aus verschiedenen Perspektiven. 
Um 17.32 Uhr fällt der erste Schuss. Beschossen wird die Farm von Franz Muller irgendwo in der südafrikanischen Provinz Ostkap. Im Haus verbarrikadieren sich die weisse Farmer-Familie, ein paar schwarze Arbeiter und ein paar zufällig Anwesende: eine Nachbarin, ein Vertreter, ein Polizist, ein Handwerker. Es wird eine lange Nacht, niemand weiss, was eigentlich los ist.
Der in Südafrika lebende deutsche Autor Max Annas verzichtet auf irgendwelche Erklärungen. Die kurzen Passagen aus der Sicht immer wieder wechselnder Personen erzählen vor allem, was aus der Sicht der jeweiligen Person gerade passiert, zeichnen Dialoge nach, und dazu gibt es ein paar kurze Gedanken der Person, keine längeren inneren Monologe. Dennoch kann sich der Leser mit der Zeit mehr und mehr ein Bild machen, was da warum abläuft. Trotz aller Dramatik und der ohne Effekthascherei nüchtern geschilderten Brutalität gibt es auch beiläufigen, trockenen Humor.
Am ersten Baum angekommen, stoppte McKenzie und machte mit ihren Händen ein Zeichen, liegenzubleiben. Die Bäume waren nicht sehr massiv. Ein Township-Junge hätte sich hinter einem verstecken können. Ein ANC-Politiker eher nicht.
Etwa eine Stunde nach Mitternacht fallen die letzten Schüsse. Und das Buch ist fast zu Ende. Keine Erklärung, keine Auflösung, man weiss nicht einmal genau, wie viele Menschen ihr Leben verloren haben.
Die Geschichte ist nur scheinbar einfach aufgebaut und erzählt; Annas versteht es geschickt, den Leser in die Geschichte hineinzuziehen, und aus den Fetzchen von Fakten ergibt sich mit der Zeit ein Bild des Geschehens. Aus den Textfragmenten ergibt sich nicht gerade eine Analyse, aber doch eine eindrückliche Momentaufnahme zum derzeitigen Leben auf dem Land in Südafrika.

Der Autor
Max Annas, *1963 in Köln, war Musikjournalist, Sachbuchautor und Dokumentarfilmer. Er lebt heute in Südafrika, wo er an der University of Fort Hare in East London an einem Forschungsprojekt über südafrikanischen Jazz arbeitet. «Die Farm» ist sein erster Roman.

Der letzte Satz
Wenn er nach Hause kam, würde er die Kinder aus dem Shack nach draussen schicken und mit seiner Frau schlafen.