(«Rain Gods», Simon & Schuster, New York, 2009)
Aus dem Amerikanischen von Daniel Müller
2014, Wilhelm Heyne Verlag (Heyne Hardcore), München, 672
Seiten
*****
Der erste Satz
Am Ende eines brennend heissen Julitages im Südwesten von
Texas, in einer kleinen Gemeinde, deren einzige wirtschaftliche Bedeutung in
einer zwanzig Jahre zuvor von der Umwelt- schutzbehörde EPA geschlossenen Fabrik
für Schädlingsbekämpfungsmittel bestanden hatte, hielt ein junger Mann in einem
Wagen ohne Frontscheibe an einer verlassenen blau-weiss gestrichenen
Tankstelle, die zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise Benzin von Pure Oil verkauft
hatte und nun zahlreichen Fledermäusen und Bündeln von Steppenläufern
Unterschlupf bot.
Das Buch
Endlich nimmt sich wieder ein deutschsprachiger Verlag dem
Werk von James Lee Burke an. Burke, inzwischen 78-jährig, zählt mit seiner 1987
gestarteten Serie um den Cajun-Cop Dave Robicheaux zu den allerbesten Autoren
des Genres. Auf die noch nicht übersetzten Robicheaux-Romane müssen wir
offenbar weiterhin warten (oder sie auf Englisch lesen). Hauptfigur von
«Regengötter» ist der über 70-jährige Sheriff Hackberry Holland, ein Cousin von
Billy Bob Holland, einem anderen Burke-Protagonisten, der in einem
gottverlassenen Kaff im Südwesten von Texas zum Rechten schaut.
Sozusagen auf Breitleinwand – bzw. auf über 600 Seiten –
erzählt Burke auf seine faszinierende Art und Weise eine bitterböse Geschichte
aus den Badlands nahe der mexikanischen Grenze, den Soundtrack dazu liefert die
junge Vikki Gaddis, die in Kneipen kellnert und dazwischen mit ihrer
Gibson-J200-Akustikgitarre und ihrer wunderschönen Stimme die alten Songs der
Carter Family darbietet. Vikki ist zusammen mit dem traumatisierten
Irak-Heimkehrer Pete Flores, und der wurde Zeuge von der Ermordung neun
asiatischer Frauen. Sheriff Hackberry gräbt die Leichen, die mit einem
Bulldozer hinter einer ehemaligen Kirche knapp unter die Erde gebracht worden
sind, aus.
Das ist die Ausgangslage einer breit – und tief –
angelegten, aber immer auch packenden Geschichte, die wie andere Burke-Romane
einen eigentümlichen Sog entwickelt, dem man sich nicht entziehen kann. Das Personal besteht aus lauter geplagten und gestörten Seelen. Die Guten sind hier
nicht einfach gut, die Bösen nicht nur böse. Sheriff Holland ist ein aufrechter
Mann im Dienste der Gerechtigkeit. Dem Werben seines Deputys Pam Tibbs will er nicht nachgeben, weil er
befürchtet, sie zu missbrauchen. Ihn plagen bis heute Alpträume von seiner
Kriegsgefangenschaft in Korea in den 1950ern, und er fühlt sich schuldig für
seine früheren Jahre voller Sauferei, Korruption und Hurerei. Seine
Gegenspieler sind nicht nur der völlig durchgeknallte, ständig die Bibel
zitierende psychopathische Killer Jack Collins, genannt Preacher, und
skrupellose Drogen- und Menschenhändler, sondern auch die Agenten staatlicher
Behörden wie ICE (Immigration and Customs Enforcement, eine Polizei- und
Zollbehörde des Ministeriums für Innere Sicherheit, die nach 9/11 gebildet
wurde) und FBI, die ihre eigenen Interessen verfolgen, für die sie auch
unschuldige Beteiligte zu opfern bereit sind. Was Holland aber zu verhindern
sucht, ob er sich dabei an den Buchstaben des Gesetzes hält oder nicht.
Ausschweifende Beschreibungen, die bei anderen Autoren
schnell einmal langatmig wirken, fesseln einen bei Burke, man ertappt sich gar
immer mal wieder dabei, dass man nach einem Absatz wieder zurück geht und ihn
gleich nochmals liest, wofür auch dem Übersetzer Daniel Müller ein grosses Lob
gebührt. Etwa wenn Preacher, seinen Fuss, in den Vikki Gaddis geschossen hat,
im Gips, wartend in einer Kneipe sitzt:
In der Ecke das Saloons sorgte ein Stand-ventilator für einen
Luftzug, der seinen Hosensaum flattern liess und die Haut am Rand seines Gipses
kühlte. Er sass an einem Tisch vor einer weissen Tasse mit schwarzem Kaffee,
von wo aus der lang gezogene, güterwaggon-ähnliche Raum wie eine Studie wirkte,
wie die Reise eines Menschen vom Schoss seiner Mutter bis hin zu seinem letzten
Tag auf Erden. Die Lichtstrahlen der frühen Sonne brannten auf die Saloonfenster
mit der gleichen Intensität herunter, mit der die elektrischen Lampen im
Kreisssaal die Neugeborenen blendeten. Der Saloon war einmal ein Tanzsaal
gewesen, und auf dem Boden konnte man noch das alte Schachbrettmuster sehen.
Hunderte, wenn nicht sogar Tausende waren schon darüber hinweggeschritten.
Menschen, die nicht innehielten, um auf ihre Füsse hinabzuschauen, und dadurch
auch das sich ständig wiederholende Muster in ihrem Leben nicht erkannten.
Aus grandiosen Schilderungen von Landschaften, Lokalitäten
und Wettersituationen, wie man sie auch aus den Robicheaux-Romanen kennt und
liebt, aus Mystischem und Mythischem aus der Südstaaten-Welt, tiefgründigen
Reflexionen, historischen und moralischen Betrachtungen, trockenem Humor aber
auch immer wieder knallharter Action entwirft James Lee Burke ein authentisches
Sittenbild, das Seite für Seite so packend und faszinierend ist, dass einen die
Geschichte nicht mehr loslässt und man das Buch trotz des beträchtlichen Umfangs
kaum einmal auf die Seite legen will. Ein Meisterwerk.
Der Autor
James Lee Burke, *1936 in Houston, Texas, publizierte in den
1960er Jahren seine ersten Bücher, die von der Kritik gelobt wurden. Doch für
sein viertes Buch, «The Lost Get-Back», bekam er nur Absagen (nachdem es 1986
doch noch erschien, wurde es für den Pulitzer-Preis nominiert), und es dauerte
13 Jahre, bis er sein nächstes Buch veröffentlichen konnte. 1987 startete er
mit «The Neon Rain» («Neonregen») die Serie mit Dave Robicheaux, am Anfang noch
bei der Polizei in New Orleans, später Mitarbeiter des Sheriffs in der
Kleinstadt New Iberia am Bayou Teche in Louisiana, die zu den besten
Krimi-Reihen überhaupt zählt. Die Reihe umfasst inzwischen 20 Romane, der
letzte erschien 2013, nur 11 davon sind leider auf Deutsch erschienen (zuerst
bei Ullstein, später bei Goldmann). Zudem sind auf Deutsch drei der vier Romane
um Hackberry Hollands Cousin Billy Bob Holland erschienen. Hackberry Holland
kam erstmals 1971 in einem Roman vor, nach «Rain Gods» (2009) folgte der
Hackberry-Roman «Feast Day of Fools» (2011). Burkes Werk ist vielfach
preisgekrönt, zweimal wurde er mit dem renommierten Edgar Allan Poe Award
ausge- zeichnet. Burke lebt mit seiner Frau Pearl in Lolo, Montana und New
Iberia, Louisiana; sie haben vier erwachsene Kinder, Tochter Alafair Burke
schreibt auch Kriminalromane.
Der letzte Satz
Zumindest waren das die Lehren, die Hackberry Holland und
Pam Tibbs aus ihren Erlebnissen zogen.
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