30.07.2014

Marcus Sakey – Die Abnormen

(«Brilliance», Thomas & Mercer, Las Vegas, 2013)

Aus dem Amerikanischen von Olaf Knechten

2014, AmazonCrossing, Luxemburg, 508 Seiten


****1/2


Der erste Satz
Der Radiosprecher hatte gesagt, es würde Krieg geben, hatte es gesagt, als würde er sich darauf freuen, und Cooper, der ohne Mantel in der Abendluft der Wüste fröstelte, dachte nur: Was für ein Arschloch.

Das Buch
Was für ein Thriller. Stark, ganz stark.
Ausgangslagen, wie sie auf der Buchrückseite geschildert wird («Seit 1980 kommt ein Prozent aller Neugeborenen ‹abnorm› zur Welt – und seitdem ist alles anders.» Und: «Man nennt sie ‹Abnorme› oder ‹Geniale›, Menschen mit aussergewöhnlichen Fähigkeiten.»), wirken auf mich eher abschreckend, aber da hier Michael Connelly, einer meiner Lieblingsautoren, den Autor Marcus Sakey als «einen unserer besten Erzähler» lobt, gab ich dem Buch eine Chance. Und es hat sich gelohnt.
Nick Cooper, selbst ein «Abnormer» oder «Genialer», ist bei der staatlichen Behörde tätig, die sich mit diesen Abnormen befasst. Er ist beim «Ausgleichsdienst», und da jagt – und tötet – er Geniale, die ihre Fähigkeiten gegen den Staat oder die Allgemeinheit einsetzen. Im ersten Buchkapitel ist er einer Hackerin auf der Spur, die einen Virus entwickelt hat, der alle Militärflieger vom Himmel fallen lassen kann. Coopers Gabe ist das Lesen der Körpersprache; er kann daraus ersehen, was jemand gerade tun wird.
Der Staat nimmt sich der Abnormen schon früh an. Kinder werden getestet, und wer genial oder eben abnorm ist, wird aus der Familie herausgenommen und bekommt in einer sogenannten Akademie eine ziemlich totalitär anmutende Erziehung. Der Unmut gegen die Abnormen wächst im Land, nicht zuletzt nachdem einer von ihnen an der Börse 300 Milliarden gemacht hat, was das ganze Finanzsystem zusammenbrechen liess. Abnorme wehren sich gegen die Kontrolle durch den Staat, politische Protesten eskalieren zu Terror- anschlägen. Politiker fordern, die Abnormen mit Mikrochips zu kennzeichnen.
Die normale Menschheit sah das Menetekel. Was einst eine Kuriosität gewesen war, war zu einer Bedrohung geworden. Wie man sie auch nannte – Geniale, Begabte, Abnorme oder Freaks –, durch sie veränderte sich alles.
Cooper soll den Topterroristen ausschalten. Doch er steht, obwohl als staatlicher Agent gegen die Abnormen unterwegs, zunehmend zwischen den Fronten – auch aus familiären Gründen.
Daraus entwickelt Marcus Sakey eine ebenso intelligente wie fesselnde Geschichte. So abseitig die Ausgangslage auf den ersten Blick auch erscheinen mag, die Themen, die Sakey ohne ins Dozieren zu geraten anschneidet, sind überhaupt nicht an den Haaren herbeigezogen. Denn da geht es zum Beispiel, um dem Umgang mit Minderheiten; deren angestrebte Brand- markung erinnert fatal an die Kennzeichnung der Juden im Dritten Reich. Es geht um Stimmungsmache und um Manipulation der Öffentlichkeit, um das Schüren von Angst und um totalitäre Massnahmen, um politische Macht und um deren Missbrauch.
Ein ganz starker Thriller. Gescheit und raffiniert aufgebaut, brillant und schnörkel- los erzählt und dabei immer atemberaubend spannend und zutiefst menschlich. Ein Hammer.

Der Autor
Marcus Sakey, *1974 in Flint, Michigan, arbeitete unter anderem in der Werbung und ist Moderator und Autor der populären TV-Sendung «Hidden City» auf dem Travel Channel. Er veröffentliche bisher acht Romane, der aktuellste, «A Better World», ist eine Fortsetzung von «Brilliance» («Die Abnormen»). Ben Affleck kaufte die Filmrechte seines ersten Romans «The Blade Itself» (2007; deutsch: «Der Blutzeuge»); auch andere Romane, darunter «Brilliance», sollen verfilmt werden. Sakey lebt mit seiner Frau und einer Tochter in Chicago.

Der letzte Abschnitt
Die Zukunft konnte warten. Wenn auch nur für eine kleine Weile.



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