23.12.2014

Kim Zupan – Die rechte Hand des Teufels

(«The Ploughmen», Henry Holt, New York, 2014)

Aus dem Amerikanischen von Marie-Luise Bezzenberger

2014, Knaur Taschenbuch, München, 328 Seiten


***1/2


Der erste Satz
Der Junge stieg im Herbst des Jahres am Ende der trockenen Strasse aus dem Bus; der Grünstreifen schwirrte vom Zirpen der Grashüpfer, die wild aus dem Unkraut und den staubigen hellen Blättern der Ölweiden nach oben geschossen kamen, gegen seine Hosenbeine taumelten, von seinem Hemd abprallten.

Das Buch
Der Erstling von Kim Zupan ist eigentlich kein Krimi. Und auch die Bezeichnung «Psychothriller» auf der deutschen Ausgabe mit dem im Verhältnis zur Art, wie Zupan erzählt, ziemlich reisserischen Titel ist doch eher gewagt. «The Ploughmen», so der Originaltitel, ist einfach ein Roman, in dem die Hauptfiguren ein junger Deputy und ein alter Mörder sind. Beide waren in jungen Jahren «Ploughmen», sie pflügten Äcker, und in den langen Gesprächen in den Nächten im Gefängnis, wo John Gload während seines Prozesses einsitzt und Val Millimaki als Wächter Dienst tut, zeigt sich, dass die beiden vordergründig so unterschiedlichen Männer doch viel gemeinsam haben.
Zupan legt die Geschichte etwas gar episch an, schwelgt in ausführlichen Landschaftsbeschreibungen. Das macht den Roman bisweilen etwas zäh. Dass Zupan auf Action und vordergründige Spannung praktisch ganz verzichtet, stört dagegen überhaupt nicht. Denn er versteht es, die Typen mit Tiefe zu zeichnen. Da der Deputy, der in der Nacht arbeitet und am Tag nicht schlafen kann, dessen Frau unzufrieden ist, und der mit seinem Hund immer wieder Vermisste sucht, wobei es ihn belastet, dass er sie in letzter Zeit immer zu spät finden. Dort der manipulative Mörder, bei dem praktisch alles, was er an Gefühlen zu zeigen scheint, gespielt ist. Die Spannung bezieht der Roman aus der Entwicklung der Beziehung zwischen den beiden Männern und nicht zuletzt aus der Frage, was wohl der Mörder mit seinem Verhalten bezweckt. Ein beachtliches Debüt eines nicht mehr ganz jungen Autors.

Der Autor
Kim Zupan, *1953, wuchs in Great Falls, Montana, auf. Er war unter anderem professioneller Rodeoreiter und Zimmermann. Er lehrt am Missoula College der University of Montana das Zimmermannshandwerk. «The Ploughmen» ist sein erster Roman. Zupan lebt in Missoula, Montana.

Der letzte Satz
«Drecksviecher. Haut ab.»



16.12.2014

William McIlvanney – Laidlaw

(«Laidlaw», Hodder and Stoughton, London, 1977)

Aus dem Englischen von Conny Lösch

2014, Verlag Antje Kunstmann, München, 303 Seiten


****


Der erste Satz
Rennen war so eine Sache.

Das Buch
Während die meisten seiner Kollegen in Glasgow ein simples Bild von Gut und Böse haben, ist Detective Jack Laidlaw überzeugt davon, dass das nicht so einfach ist. So rät er dem jungen Polizisten, der ihm für die Suche nach dem Mörder, der eine junge Frau brutal umgebracht hat, zugeteilt wird:
«Wir (…) dürfen nicht vergessen, dass das, wonach wir suchen, ein Teil von uns ist. Wenn Sie das nicht begreifen, brauchen Sie gar nicht erst anzufangen.»

William McIlvanney ist ein Pionier des Noir-Thrillers in Schottland; der Roman «Laidlaw» ist 1977 erschienen. Auf Deutsch kam er erstmals 1979 heraus («Im Grunde ein ganz armer Hund», rororo thriller), doch der Verlag Antje Kunstmann hat den Roman für die neue Ausabe von der zuverlässigen Übersetzerin Conny Lösch neu übertragen lassen. Und das liest sich dann etwa so:
Es ist das staatliche Leichenschauhaus, der Lieferanteneingang des Gerichts. Hier trifft das Rohmaterial der Rechtsprechung ein. Leichen, der Niederschlag absonderlicher Erfahrungen, Legierungen aus Angst und Hass, Wut und Liebe, Verderbtheit und Bestürzung, werden hier in Verständlichkeit überführt. Durch die doppelte Glastür kommen jene, die Verluste abzuholen haben. Sie nehmen die Eingeweide eines Todes mit, seine Intimität, die irrelevante Einzigartigkeit der Person, all die Einzelteile, für die niemand mehr Verwendung hat. Das Gericht behält nur, worauf es ankommt und wodurch jemand zum Ereignis wurde.

Passagen wie diese zeigen, dass wir es hier nicht mit einem simplen Whodunit-Krimi zu tun haben, sondern mit Kriminalliteratur, die tief in die menschlichen Abgründe taucht. Ein starkes Buch. Zu hoffen ist, dass diesmal auch die beiden weiteren Romane um Jack Laidlaw übersetzt werden.

Der Autor
William McIlvanney, *1936 in Kilmarnock, Schottland, war bis 1975 als Englischlehrer tätig. 1966 veröffentlichte er sein erstes Buch, «Remedy is None». Seiter erschienen mehr als ein Dutzend Bücher von ihm, für die er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Er veröffentlichte auch Gedichte und Sachbücher. «Laidlaw» (1977; auf Deutsch 1979 bei Rowohlt erstmals erschienen) ist der erste von drei Romanen um Detective Jack Laidlaw in Glasgow, die weiteren sind «The Papers of Tony Veitch (1983) und «Strange Loyalities» (1991). Damit gilt McIlvanney als Pionier des «Tartan Noir», des modernen, schottischen hardboiled Krimis. «Ohne McIlvanney wäre ich wohl kein Krimiautor geworden», sagt Ian Rankin, heute wohl der bekannteste schottische Kriminalschriftsteller.

Der letzte Satz
«Hast doch einen Mund, oder nicht?», sagte Laidlaw.




09.12.2014

Dennis Lehane – The Drop. Bargeld

(«The Drop», William Morrow, New York, 2014)

Aus dem Amerikanischen von Steffen Jacobs

2014, Diogenes Verlag, Zürich, 223 Seiten

****1/2

Der erste Satz
Bob fand den Hund zwei Tage nach Weinachten.

Das Buch
Ein schmales Bändchen für Dennis Lehane, der doch in der Regel eher 600 als 300 Seiten liefert. Das liegt wohl an der Entstehungsgeschichte. Zuerst war da eine Kurzgeschichte, «Animal Rescue», vielleicht etwa halb so lang wie der vorliegende Roman, und aus dieser Geschichte fertigte Lehane ein Drehbuch fürs Kino. Und erst danach wurde daraus auch noch dieser Roman.
Schlechte Voraussetzungen für ein gutes Buch, mag man da zuerst skeptisch denken. Doch weit gefehlt: «The Drop. Bargeld» (etwas bemüht, dieser Doppeltitel der deutschen Ausgabe) ist ein ganz wunderbares, atmosphärisch dichtes Buch. Eher düster zwar, und das Personal besteht ausschliesslich aus gescheiterten oder sonstwie mit ihrem Dasein hadernden Menschen, die Lehane in wenigen Worten präzise zu charakterisieren versteht. «Die meisten Menschen sind ganz in Ordnung», findet Bob, die Hauptfigur, um dann zu präzisieren:
«Sie stellen jede Menge Sauereien an, und dann stellen sie noch mehr Sauereien an, weil sie versuchen, die ersten Sauereien aufzuwischen, und irgendwann ist das ihr Leben.»

Bob Saginowski ist Barkeeper in «Cousin Marv’s» Bar. Marvin ist wirklich sein Cousin, doch die Bar, die seinen Namen trägt, gehört längst der örtlichen Tschetschenen-Mafia. Diese benutzt das Lokal als einen der ständig wechselnden «Drops»: Hier werden an einem Abend alle Einnahmen der Organisation abgeliefert und dann von den Chefs abgeholt. Ein Überfall auf die Bar setzt eine Reihe von Ereignissen in Gang, die am Super-Bowl-Sonntag, vor allem wegen der Wetten für die Mafia der ertragsreichste Tag, kulminieren.
Von den Tagen nach Weihnachten, in welchen Bob zu einem Hund kommt und die etwas undurchsichtige Nadia kennenlernt, bis zum ersten Februar-Sonntag sind wir vor allem mit Bob unterwegs, in dessen alltägliche Monotonie plötzlich so etwas wie Leben und gar ein Hauch Hoffnung kommt. Man mag ihn, er scheint einer der Guten zu sein in dieser Geschichte, während man bei Detective Torres, den Bob vom regelmässigen Kirchgang kennt, nicht so sicher ist. Irgendwo scheint zarte Liebe zu keimen, dann bricht wieder brutale Gewalt aus in diesem zwar irgendwie ganz unspektakulären, aber durchwegs spannenden und bewegenden Buch. Ein an Umfang kleiner, an Sinn und Tiefe aber grosser Roman, der durch Melancholie und leisen Humor geprägt ist.

Der Autor
Dennis Lehane, *1965 in Boston, Massachussetts, absolvierte nach verschiedenen Studien und Gelegenheitsjobs einen Studiengang für kreatives Schreiben in Florida. 1994 erschien sein erster Roman «A Drink Before the War» («Streng vertraulich»). Inzwischen hat er rund ein Dutzend Romane veröffentlicht, darunter mehrere Bestseller, die teils auch erfolgreich verfilmt wurden (z.B. «Mystic River» und «Shutter Island»). Lehane lebt in Boston, wo auch seine Romane spielen, und in St. Petersburg, Florida, wo er heute selbst kreatives Schreiben unterrichtet.

Der letzte Satz
Man kann das Leben nicht kontrollieren.



Trailer zum Film «The Drop» (Regie: Michaël R. Roskam; mit Tom Hardy, Noomi Rapace, James Gandolfini):




08.12.2014

Oliver Harris – London Underground

(«Deep Shelter», Jonathan Cape, London, 2014)

Aus dem Englischen von Gunnar Kwisinski

2014, Karl Blessing Verlag, München, 445 Seiten


****


Der erste Satz
Er versuchte gerade, einen Augenblick zur Ruhe zu kommen, als der Wagen auftauchte.

Das Buch
Nick Belsey ist zurück. In «London Killing» (2012; Original: «The Hollow Man») hatte sich der originelle Antiheld ziemlich in die Scheisse geritten. Der korrupte Detective der Londoner Polizei benutzt seinen Job mit Vorliebe, um in den eigenen Sack zu wirtschaften. Zu Beginn des zweiten Belsey-Romans will er es eigentlich gemütlich angehen lassen.

Belseys Schicht enthielt zwei Vierzehnjährige mit Stichwunden und einen verärgerten Gast, der den Pub in der Nachbarschaft mit einer Bohrmaschine attackiert hatte. Um Viertel vor fünf war er der Meinung, seinen Beitrag zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung geleistet zu haben. Er hatte in einer Seitenstrasse der Hampstead High geparkt, einen doppelten Wodka in einen Eis-Cappuccino aus Nicaragua-Espresso gekippt und die Lehne nach hinten gestellt. In einer Stunde war Feierabend, und ein paar Stunden danach hatte er ein Date mit einer Kunststudentin, die er vor Kurzem wegen Drogenbesitzes festgenommen hatte. Jetzt musste er nur noch darauf achten, dachte er, dass er nicht noch mehr Blut auf den Anzug bekam.

Doch ein vorbeirasender Wagen macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Belsey verfolgt den Wagen. Der Raser lässt das Auto stehen und verschwindet spurlos in einer Sackgasse. Das führt Belesey in einen alten Bunker, wo er ein paar interessante Sachen vorwindet: Vorräte von alten Medikamenten und Kisten voller Alkoholika. Nick Belsey beschliesst, sein Date hierher auszuführen. Doch das kommt gar nicht gut – die junge Frau wird entführt.
Oliver Harris lässt in einem heissen Sommer in London Relikte des kalten Krieges aufleben. Die verrückte Geschichte spielt zu wesentlichen Teilen in unüberschaubaren unterirdischen Anlagen, die grösstenteils heimlich erstellt wurden, um in einem Atomkrieg Schutz zu bieten. Da Belsey selbst in den Fall verwickelt ist, ermittelt er auf eigene Faust und gerät schliesslich selbst ins Fadenkreuz seiner Kollegen. Doch im Verlauf seiner Ermittlungen macht Belsey politisch brisante Entdeckungen. So wird «London Underground» vom witzigen Klamaukkrimi mehr und mehr zu einem klaustrophobischen Politthriller.

Der Autor
Oliver Harris, *1978 im Londoner Norden, studierte englische Literatur und Psychologie. Die beiden Belsey-Krimis sind seine ersten literarischen Werke. Zur Zeit arbeitet Harris an einer Dissertation über Psychoanalyse und antike Mythologie. Er lebt in London.

Der letzte Satz
Belsey hörte zu, bis er bei Michael Forrester angekommen war.