21.07.2017

Antonin Varenne – Die Treibjagd




(«Battues», Editions Ecorce, La Croisille-sur-Briance 2015)

Aus dem Französischen von Susanne Röckel

Penguin Verlag/Random House, München 2017, 302 Seiten 



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Der erste Satz
«Als ich geboren wurde, war R. noch eine Stadt.»
  

Das Buch
Wäre «Die Treibjagd» ein amerikanischer Roman, würde er als «Country Noir» bezeichnet. Hinter amerikanischen Grössen des Genres muss sich der Franzose Antonin Varenne mit seinem siebten Roman keineswegs verstecken. «Battues», wie das Buch im Original heisst, «Geschlagene», hat auch etwas von einem Western. Zwei verfeindete Familien herrschen über die Stadt in der Region Limousin im französischen Zentralmassiv, die nur als R. bezeichnet wird; ehemalige Bauernfamilien, die ihr Reich durch Zukäufe stetig vergrösserten. Den Courbiers gehören die Wälder, den Messenets das Landwirtschaftsgebiet. Und dazwischen steht Rémi Parrot, der Revierjäger (Wildhüter, würden wir in der Schweiz sagen), der seit einem Unfall in seiner Jugend entstellt ist und quasi den lonesome Cowboy gibt.
Es ist ein trostloser Ort, der schon bessere Zeiten gesehen hat: «Die Hälfte der Häuser steht leer, alles ist heruntergekommen, die Geschäfte in der Hauptstrasse wechseln jedes Jahr den Besitzer, und die Hälfte der Läden steht zum Verkauf. Die Bevölkerung muss die älteste von ganz Europa sein, und die Jungen versammeln sich zum Komasaufen. Sie raufen sich nicht mehr, sie hängen sich am nächsten Baum auf.» Ausländer leben keine hier, doch bei den Wahlen erreicht der Rassismus «einen guten nationalen Mittelwert». Als Sündenböcke dienen die Zigeuner, die in einem Lager ausserhalb des Städtchens campieren, und gerne auch die Umweltaktivisten auf dem nahen Hochplateau. Das Verschwinden eines der Letzteren bringt eine Dynamik in Gang. Es gibt Morde, die Zellstofffabrik der Courbiers brennt nieder, ein illegales Atommülllager wird entdeckt, und es stellt sich heraus, dass die vermeintlich verfeindeten Familien im Naturparkgebiet auf dem Plateau gemeinsam ein gigantisches Tourismusprojekt planen. Dass bei der grossen Treibjagd auf Rémi geschossen wird, ist sicher kein Versehen; es kommen mehrere Verdächtige in Frage. Vielleicht der Bruder von Michèle Messenet, die laut Rémi «zu schön für diesen Ort» ist, aber nach Jahren zurückgekehrt ist und sich wieder mit ihrer alten Liebe Rémi trifft.
Varenne erzählt kraftvoll, aber angenehm unaufgeregt. Mit der Verschachtelung des zeitlichen Ablaufs steigert er die Spannung, ohne dafür simple Tricks zu brauchen. Die archaische Geschichte um Schuld und Sühne ist allgemein gültig, sie könnte irgendwo spielen. Doch die Verankerung in einem realistischen regionalen Setting – Varenne lebt in der Gegend, die er ebenso einfühlsam wie schonungslos zu beschreiben versteht – gibt ihr erst die Authentizität, die sie wirklich bewegend macht. Dass die Beziehung zwischen Rémi und Michèle auch noch eine herzergreifende Liebesgeschichte liefert, schadet dem Roman in keiner Weise. Die Protagonisten sind vielschichtig, bedienen keine simplen Klischees. Es gibt nicht einfach Gut und Böse, das sich klar voneinander unterscheidet. Rémi Parrot ist zwar der Good Guy, doch Commandant Vanberten, ein Auswärtiger – «Auch wenn er seit hundert Jahren hier lebte, Alkoholiker geworden war und zehnmal den ‹Grossen Wettbewerb der Kartoffelesser› gewonnen hatte, würde er nie als Einheimischer gelten.» – und wahrscheinlich der einzige nicht korrupte Mensch in diesem Tal, kommt zum Schluss: «Nicht anders als Ihre Mitmenschen hier kennen Sie keine Gerechtigkeit, Monsieur Parrot, nur Rache.»

Der Autor
Antonin Varenne, geboren 1973 in Paris, studierte in Paris Philosophie. Er soll als Hochhauskletterer und Zimmermann tätig gewesen sein, lebte in Island, Mexiko und in den USA. Seit 2006 veröffentlichte er neun Bücher; auf Deutsch erschienen sind vor «Die Treibjagd» «Fakire» («Fakirs»; Ullstein, 2011) und «Die sieben Leben des Arthur Bowman» («Trois mille chevaux vapeur»; C. Bertelsmann, 2015). Varenne lebt im Departement Creuse – in der Gegend, in der «Die Treibjagd» spielt.

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