(«Please Don’t Leave Me Here», Scirbe, Melbourne 2015)
Aus dem australischen Englisch von Karen Witthuhn
Suhrkamp, Berlin 2017, 317 Seiten
*** ½
Der erste Satz
Die Online-Ausgabe von The Age meldet einen ereignislosen Tag:
Premierministerin Julia Gillard rügt Alkoholexzess von Footballspieler,
Promiköchin Nigella Lawson engagiert persönlichen Fitnesstrainer.
Das Buch
Der Soundtrack des Buchs
wird zwar mehrheitlich von Nick Cave and the Bad Seeds bestritten, doch Kurt
Cobain ist allgegenwärtig: Er taucht ständig in den Träumen von Brigitte auf,
er sitzt neben ihr im Auto, wenn sie etwas benebelt von zu vielen Tabletten und
Alkohol unterwegs ist. Und die Ratschläge, die er ihr da erteilt, sind nicht
die besten. Brigitte ist die Hauptfigur des Debütromans «Zwei Leben» der
Australierin Tania Chandler. Brigitte leidet. An Rückenschmerzen, den Folgen
eines Unfalls vor 14 Jahren. An der Ehe, die nicht mehr ist, was sie mal war.
An der Verantwortung für ihre Zwillinge. An ihrer Vergangenheit. Letztere holt
sie ein, als sie eines Morgens liest, dass der ungeklärte Mordfall am
Konzertveranstalter Eric Tucker im Jahr 1994 von der Polizei neu aufgerollt
werde. Mit Tucker hatte Brigitte zusammengelebt, als sie 19 war und in einem
Stripclub arbeitete. Er war viel älter als sie, er misshandelte sie und er
handelte mit Drogen. Brigitte war die Hauptverdächtige in dem Fall. Doch die
Tötung konnte ihr nicht nachgewiesen werden.
Tania Chandler gliedert
die alptraumhafte Geschichte, die sie gekonnt zwischen Wahn und Wirklichkeit
balanciert, in drei Teile. Im ersten Teil lebt Brigitte 2008 als Mutter von
vierjährigen Zwillingen in Melbourne, ist verheiratet mit einem Polizisten, den
sie nach ihrem Unfall vor 14 Jahren kennengelernt hatte. Teil zwei blendet
zurück in ihr Leben von 1994. Sie ist in Melbourne geblieben, nachdem ihre
Mutter, die sie mit Lebensratschlägen von der Art, «Steig nicht zu einem
fremden Mann ins Auto. Ausser es ist ein Porsche», versorgte, weggezogen war.
Im Nachtclub macht sie gutes Geld, und Tucker hat eine tolle Wohnung. Probleme
werden durch Alkohol und Drogen ausgeblendet. Doch als sich Brigitte in einen
jungen Schriftsteller verliebt, werden die Probleme ernster. Und sie eskalieren
bis zum Tod Tuckers und dem Unfall Brigittes. In einem kurzen dritten Teil
knüpft Chandler wieder am ersten Teil an. Die Teile tragen übrigens die Titel
von Nirvana-Songs von Cobain: «Come As You Are» (Teil 1 und 3) und «About a
Girl» (Teil 2). Während Teil 1 noch wie ein typischer Thriller daherkommt, wird
die Rückblende auf das «Girl» mehr zu einer Entwicklungsgeschichte mit starken
psychologischen Aspekten. Die Familiengeschichte ist von Bedeutung, die
Beziehung Brigittes zu ihren Grosseltern und ihrem Bruder. Es geht um
Schuldgefühle, um Selbstekel. Und vor allem geht es für die Protagonistin
darum, sich selbst zu finden. Das gibt dem eindrücklichen Debüt Tiefe.
Tania Chandler ist eine sehr
interessante Entdeckung, die nach den Ausgaben ihres Erstlings in Australien
und England jetzt erstmals übersetzt wurde. Eine neue Stimme aus Australien.
Down Under ist immer wieder für starke Krimimalliteratur gut. Die Bücher von Autoren
wie Garry Disher, von Peter Temple und Alan Carter etwa kann man seit Jahren unbesehen
kaufen. Erfreulicherweise kommen aus Australien jetzt auch immer mehr spannende
Autorinnen auf Deutsch heraus: Herausragend sind Candice Fox mit ihrer
spektakulären «Eden»-Trilogie (Suhrkamp) und Jane Harper mit dem starken
Kleinstadt-Thriller «The Dry» (Rowohlt).
Die Autorin
Tania Chandler, geboren
in Melbourne, wo sie immer noch lebt, arbeitet als Redaktorin. 2015
veröffentlichte sie ihren ersten Roman «Please Don’t Leave Me Here», der jetzt
als «Zwei Leben» auf Deutsch erschienen ist. Die dieses Jahr erschienene
Fortsetzung «Dead in the Water» soll im Februar 2018 als «Ein drittes Leben»
auf Deutsch erscheinen.
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