13.07.2017

Tania Chandler – Zwei Leben





(«Please Don’t Leave Me Here», Scirbe, Melbourne 2015)

Aus dem australischen Englisch von Karen Witthuhn

Suhrkamp, Berlin 2017, 317 Seiten  

*** ½ 



Der erste Satz
Die Online-Ausgabe von The Age meldet einen ereignislosen Tag: Premierministerin Julia Gillard rügt Alkoholexzess von Footballspieler, Promiköchin Nigella Lawson engagiert persönlichen Fitnesstrainer.

Das Buch
Der Soundtrack des Buchs wird zwar mehrheitlich von Nick Cave and the Bad Seeds bestritten, doch Kurt Cobain ist allgegenwärtig: Er taucht ständig in den Träumen von Brigitte auf, er sitzt neben ihr im Auto, wenn sie etwas benebelt von zu vielen Tabletten und Alkohol unterwegs ist. Und die Ratschläge, die er ihr da erteilt, sind nicht die besten. Brigitte ist die Hauptfigur des Debütromans «Zwei Leben» der Australierin Tania Chandler. Brigitte leidet. An Rückenschmerzen, den Folgen eines Unfalls vor 14 Jahren. An der Ehe, die nicht mehr ist, was sie mal war. An der Verantwortung für ihre Zwillinge. An ihrer Vergangenheit. Letztere holt sie ein, als sie eines Morgens liest, dass der ungeklärte Mordfall am Konzertveranstalter Eric Tucker im Jahr 1994 von der Polizei neu aufgerollt werde. Mit Tucker hatte Brigitte zusammengelebt, als sie 19 war und in einem Stripclub arbeitete. Er war viel älter als sie, er misshandelte sie und er handelte mit Drogen. Brigitte war die Hauptverdächtige in dem Fall. Doch die Tötung konnte ihr nicht nachgewiesen werden.
Tania Chandler gliedert die alptraumhafte Geschichte, die sie gekonnt zwischen Wahn und Wirklichkeit balanciert, in drei Teile. Im ersten Teil lebt Brigitte 2008 als Mutter von vierjährigen Zwillingen in Melbourne, ist verheiratet mit einem Polizisten, den sie nach ihrem Unfall vor 14 Jahren kennengelernt hatte. Teil zwei blendet zurück in ihr Leben von 1994. Sie ist in Melbourne geblieben, nachdem ihre Mutter, die sie mit Lebensratschlägen von der Art, «Steig nicht zu einem fremden Mann ins Auto. Ausser es ist ein Porsche», versorgte, weggezogen war. Im Nachtclub macht sie gutes Geld, und Tucker hat eine tolle Wohnung. Probleme werden durch Alkohol und Drogen ausgeblendet. Doch als sich Brigitte in einen jungen Schriftsteller verliebt, werden die Probleme ernster. Und sie eskalieren bis zum Tod Tuckers und dem Unfall Brigittes. In einem kurzen dritten Teil knüpft Chandler wieder am ersten Teil an. Die Teile tragen übrigens die Titel von Nirvana-Songs von Cobain: «Come As You Are» (Teil 1 und 3) und «About a Girl» (Teil 2). Während Teil 1 noch wie ein typischer Thriller daherkommt, wird die Rückblende auf das «Girl» mehr zu einer Entwicklungsgeschichte mit starken psychologischen Aspekten. Die Familiengeschichte ist von Bedeutung, die Beziehung Brigittes zu ihren Grosseltern und ihrem Bruder. Es geht um Schuldgefühle, um Selbstekel. Und vor allem geht es für die Protagonistin darum, sich selbst zu finden. Das gibt dem eindrücklichen Debüt Tiefe.
Tania Chandler ist eine sehr interessante Entdeckung, die nach den Ausgaben ihres Erstlings in Australien und England jetzt erstmals übersetzt wurde. Eine neue Stimme aus Australien. Down Under ist immer wieder für starke Krimimalliteratur gut. Die Bücher von Autoren wie Garry Disher, von Peter Temple und Alan Carter etwa kann man seit Jahren unbesehen kaufen. Erfreulicherweise kommen aus Australien jetzt auch immer mehr spannende Autorinnen auf Deutsch heraus: Herausragend sind Candice Fox mit ihrer spektakulären «Eden»-Trilogie (Suhrkamp) und Jane Harper mit dem starken Kleinstadt-Thriller «The Dry» (Rowohlt).

Die Autorin
Tania Chandler, geboren in Melbourne, wo sie immer noch lebt, arbeitet als Redaktorin. 2015 veröffentlichte sie ihren ersten Roman «Please Don’t Leave Me Here», der jetzt als «Zwei Leben» auf Deutsch erschienen ist. Die dieses Jahr erschienene Fortsetzung «Dead in the Water» soll im Februar 2018 als «Ein drittes Leben» auf Deutsch erscheinen.



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