Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Stumpf.
Suhrkamp, Berlin 2017, 351 Seiten.
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Der erste Satz
Sie erkundigte sich nach der Stelle in der Anzeige.
Das Buch
Am Krimi «Ein Job für
Delpha» der Amerikanerin Lisa Sandlin sind ein paar Sachen ungewöhnlich.
Erstens war die Texanerin schon 64-jährig, als ihr erster Roman vor zwei Jahren
im Original erschien. Zweitens ist er aber keineswegs ein netter
Alte-Damen-«Whodunit», wie man auch des deutschen Titels wegen vermuten könnte.
Drittens haucht der Roman einem bedeutenden, in den letzten Jahrzehnten aber
fast verschwundenen Subgenre der Kriminalliteratur neues Leben ein: dem Privatdetektivroman.
Und, viertens, dabei ist nicht der Detektiv die Hauptfigur, sondern dessen
Sekretärin. Die darf noch so heissen und muss nicht Assistentin genannt werden.
Denn der Roman spielt anno 1973. Schauplatz ist Beaumont, wo die Autorin aufgewachsen
ist, eine Ölstadt mit etwas mehr als hunderttausend Einwohnern im Südosten von
Texas, an der Grenze zu Louisiana; in der Populärkultur ist die Stadt vor allem
bekannt als Heimat der Bluesrocklegende Johnny Winter.
Die Geschichte setzt ein
mit der im deutschen Titel angesprochenen Jobsuche von Delpha Wade. Sie ist gut
30-jährig und nach 14 Jahren auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen worden.
Als Teenager hatte sie ihren Vergewaltiger, der sie töten wollte, erstochen und
dessen Vater, der sie auch vergewaltig hatte, verletzt. Vor Gericht galt die
Aussage des Familienvaters mehr als die des Mädchens. Im Knast hat sie sich zur
Sekretärin ausgebildet. Durch Fürsprache ihres Bewährungshelfers kommt sie bei
Tom Phelan unter. Der Vietnamveteran hat auf einer Ölplattform gearbeitet und
da einen Finger verloren; jetzt versucht er sich als Privatdetektiv. Die
erhofften grossen Aufträge von Firmen bleiben vorerst aus. Phelan, von der im
Knast in vielen Lebensfragen geschulten Delpha Wade unterstützt, muss einen
Jungen suchen, der nicht nach Hause gekommen ist, und eine von den Geschwistern
eines Einbeinigen behändigte Beinprothese wiederbeschaffen. Interessanter wird
es, als eine Frau Phelan beauftragt, ihren Mann mit seiner Geliebten zu
fotografieren. Nachdem auch dieser Auftrag zur Befriedigung der Auftraggeberin
erledigt ist, kommen Phelan und Wade unabhängig darauf, dass die Auftraggeberin
gar nicht die Frau des Fremdgängers war. Zufällig ist sie die Mutter des jungen
Mannes, mit dem Delpha sich im Bett vergnügt. Und die möchte, dass ihr Junge
zurück ans College geht. Phelan will die Hintergründe des Auftrags klären und
ermittelt, auch mangels anderer Arbeit, weiter. Er stösst auf ein tödliches
Komplott, bei dem es natürlich um Geld geht, um viel Geld. Und irgendwann geht
es auch um den überlebenden Vergewaltiger.
Lisa Sandlin, die als
Professorin Schreiben lehrt, baut ein Puzzle aus vielerlei Elementen auf, die
sich dann auf mehr oder weniger überraschende Art mehr und mehr zusammenfügen. Vielleicht
fügt sich etwas viel etwas gar glatt zusammen, und nicht alles lässt sich
logisch komplett nachvollziehen. Aber das ist nicht entscheidend, war es auch
bei Raymond Chandler nicht, einem der grossen Klassiker des Genres. An Autoren
wie Chandler und Dashiell Hammett erinnert Sandlins Roman durchaus. Nicht nur wegen
den schlagfertigen Dialogen, den witzigen Beobachtungen und den eingestreuten
trockenen Lebensweisheiten, sondern vor allem auch wegen dem sozialkritischen
Blick auf die Gesellschaft. Lisa Sandlin ergeht sich nicht in romantischer
Nostalgie, sie erzählt hart und genau. Und auch die Politik wird nicht
ausgeblendet. Es ist die Zeit der Watergate-Affäre, die Menschen verfolgen die
Befragungen von Präsident Richard Nixon, der sich auf «Amtsimmunität» beruft
und die Aussage verweigert: «Soweit Phelan verstand, bedeutete das so viel wie:
Leckt mich, ich bin der Präsident und ihr nicht.»
Dieses Debüt macht Lust
auf mehr von Delpha Wade und Tom Phelan. Lisa Sandlin arbeitet daran.
Die Autorin
Lisa Sandlin, geboren
1951 in Beaumont, Texas, unterrichtet kreatives Schreiben an der University of
Nebraska in Omaha. Seit den 1990er-Jahren hat sie mehrere Bände mit
Kurzgeschichten veröffentlichte. Die Shortstory «Phelan’s First Case» wurde mit
mehreren Preisen ausgezeichnet und 2013 in die renommierte Anthologie «USA
Noir: Best of the Akashic Noir Series» aufgenommen. Ihr erster Roman «The
Do-Right» («Ein Job für Delpha»), der 2015 erschien, nimmt die Figuren aus
dieser Story auf. Der Roman wurde mit zwei wichtigen amerikanischen
Krimipreisen, dem Hammett Prize und dem Shamus Award, ausgezeichnet. Die
Texanerin lebt in Omaha, Nebraska und, im Sommer, in Santa Fe, New Mexico.
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