Aus dem Amerikanischen von Olaf Knechten
2014, AmazonCrossing, Luxemburg, 508 Seiten
****1/2
Der erste Satz
Der Radiosprecher hatte gesagt, es würde Krieg geben, hatte
es gesagt, als würde er sich darauf freuen, und Cooper, der ohne Mantel in der
Abendluft der Wüste fröstelte, dachte nur: Was
für ein Arschloch.
Das Buch
Was für ein Thriller. Stark, ganz stark.
Ausgangslagen, wie sie auf der Buchrückseite geschildert wird («Seit
1980 kommt ein Prozent aller Neugeborenen ‹abnorm› zur Welt – und seitdem ist
alles anders.» Und: «Man nennt sie ‹Abnorme› oder ‹Geniale›, Menschen mit
aussergewöhnlichen Fähigkeiten.»), wirken auf mich eher abschreckend, aber da
hier Michael Connelly, einer meiner Lieblingsautoren, den Autor Marcus Sakey
als «einen unserer besten Erzähler» lobt, gab ich dem Buch eine Chance. Und es
hat sich gelohnt.
Nick Cooper, selbst ein «Abnormer» oder «Genialer», ist bei
der staatlichen Behörde tätig, die sich mit diesen Abnormen befasst. Er ist
beim «Ausgleichsdienst», und da jagt – und tötet – er Geniale, die ihre
Fähigkeiten gegen den Staat oder die Allgemeinheit einsetzen. Im ersten
Buchkapitel ist er einer Hackerin auf der Spur, die einen Virus entwickelt hat,
der alle Militärflieger vom Himmel fallen lassen kann. Coopers Gabe ist das
Lesen der Körpersprache; er kann daraus ersehen, was jemand gerade tun wird.
Der Staat nimmt sich der Abnormen schon früh an. Kinder
werden getestet, und wer genial oder eben abnorm ist, wird aus der Familie
herausgenommen und bekommt in einer sogenannten Akademie eine ziemlich
totalitär anmutende Erziehung. Der Unmut gegen die Abnormen wächst im Land,
nicht zuletzt nachdem einer von ihnen an der Börse 300 Milliarden gemacht hat,
was das ganze Finanzsystem zusammenbrechen liess. Abnorme wehren sich gegen die
Kontrolle durch den Staat, politische Protesten eskalieren zu Terror- anschlägen. Politiker fordern, die Abnormen mit Mikrochips zu
kennzeichnen.
Die normale Menschheit
sah das Menetekel. Was einst eine Kuriosität gewesen war, war zu einer
Bedrohung geworden. Wie man sie auch nannte – Geniale, Begabte, Abnorme oder
Freaks –, durch sie veränderte sich alles.
Cooper soll den Topterroristen ausschalten.
Doch er steht, obwohl als staatlicher Agent gegen die Abnormen unterwegs,
zunehmend zwischen den Fronten – auch
aus familiären Gründen.
Daraus entwickelt Marcus Sakey eine ebenso intelligente wie fesselnde Geschichte. So abseitig die Ausgangslage auf den ersten Blick auch erscheinen
mag, die Themen, die Sakey ohne ins Dozieren zu geraten anschneidet, sind
überhaupt nicht an den Haaren herbeigezogen. Denn da geht es zum Beispiel, um
dem Umgang mit Minderheiten; deren angestrebte Brand- markung erinnert fatal an
die Kennzeichnung der Juden im Dritten Reich. Es geht um Stimmungsmache und um
Manipulation der Öffentlichkeit, um das Schüren von Angst und um totalitäre
Massnahmen, um politische Macht und um deren Missbrauch.
Ein ganz starker Thriller. Gescheit und raffiniert aufgebaut, brillant
und schnörkel- los erzählt und dabei immer atemberaubend spannend und zutiefst
menschlich. Ein Hammer.
Der Autor
Marcus Sakey, *1974 in Flint, Michigan, arbeitete unter
anderem in der Werbung und ist Moderator und Autor der populären TV-Sendung
«Hidden City» auf dem Travel Channel. Er veröffentliche bisher acht Romane, der
aktuellste, «A Better World», ist eine Fortsetzung von «Brilliance» («Die
Abnormen»). Ben Affleck kaufte die Filmrechte seines ersten Romans «The Blade
Itself» (2007; deutsch: «Der Blutzeuge»); auch andere Romane, darunter
«Brilliance», sollen verfilmt werden. Sakey lebt mit seiner Frau und einer
Tochter in Chicago.
Der letzte Abschnitt
Die Zukunft konnte warten. Wenn auch nur für eine kleine
Weile.
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